Heiserkeit der Flüchtlinge

Integration: Die Heiserkeit der Flüchtlinge

Ein Kommentar

Das Wetter ist zur Zeit verdammt unzuverlässig. Mal brennt die Sonne runter, als hätte sie mit der Sonnencreme-Industrie einen teuflischen Pakt geschlossen. Und am nächsten Tag schon – zack, zieht man die Winterjacke an, weil es schon wieder so arschkalt geworden ist.

Herumgeniese, Geschniefe und kratzige Stimmen sind das, was bei diesen Temperaturschwankungen herauskommt. Gerade Heiserkeit ist etwas, das wenig Spaß macht. Nicht sprechen zu können, isoliert. Aber  wenn wir für ein paar Tage nicht reden können, bemerken wir, dass wir sonst sehr wohl in der Lage sind, mit unserer Umgebung zu kommunizieren – denn schließlich beherrschen wir ja die Sprache. Anders bei den Flüchtlingen: Seit der Kürzung des Etats schwinden ihre Chancen, Deutsch zu lernen – und damit verringert sich auch die Aussicht auf eine gelungene Integration.

 

Vom freundlichen Lächeln zum Mittelfinger

 

Heiser zu sein ist wirklich scheiße. Am Anfang ist es vielleicht noch ganz unterhaltsam, wenn man Freunde für sich an der Edeka-Kasse oder im Seminar sprechen lässt. Eigentlich kann es auch mal ganz entspannend sein, nicht ständig mit anderen kommunizieren zu müssen, sondern einfach nur zu beobachten und zuzuhören. Aber nur, weil du weißt: Bald schwingen die Stimmbänder wieder fröhlich hin und her und du kannst wieder genauso viel Quatsch von dir geben wie sonst auch.

Erst, wenn man in der Kaffeepause neue Leute kennen lernen soll, verwandelt sich das Komische langsam ins Tragische. Fragen wie „He, bist du zu schüchtern, um mit uns zu reden, haha“ sind am Anfang ja ganz witzig – aber irgendwann, wenn sich das Gespräch weiterdreht und man stumm am Rand sitzt, wird es einem schon ein wenig einsam ums Herz. Und die freundlich gemeinten, lustigen Mobbing-Fragen werden lästig. Letztendlich verwandelt sich das freundliche Grinsen langsam in das universale Fuck-You-Zeichen: den Mittelfinger, die einzige Möglichkeit, sich zu verteidigen.

 

Sprache und Vertrauen

 

Schrift, Zahlen, Sprache – wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir uns eine Welt ohne diese drei Säulen überhaupt nicht mehr vorstellen können. Dabei sind es menschliche Erfindungen, die nur funktionieren, weil sie in jedem unserer Köpfe verankert sind. Allen voran die Sprache: Der „Tisch“ heißt eben „Tisch“, weil irgendjemand ihn so genannt hat. Dass unsere Bezeichnungen für Gegenstände arbiträr sind, erkannte der Sprachtheoretiker Ferdinand de Saussure Anfang des 20. Jahrhunderts. Trotz der Willkür der Wortwahl wissen wir doch um die Bedeutung unserer Wörter, was wiederum der Grund für das Funktionieren unserer Sprache ist: Da auch unsere Mitmenschen das Wort „Tisch“ und seine Assoziationen kennen, können wir untereinander kommunizieren. Und miteinander sprechen zu können bedeutet, dass man eine Basis schafft, aus der sich wiederum ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann. Da wir mit den Menschen um uns herum diese Basis teilen, können wir uns Geschichten erzählen, Erlebnisse teilen – kurzum: uns gegenseitig vertrauen.

Machen wir aber unsere Sprache anderen nicht zugänglich, behindert dies das Entstehen von gegenseitigem Vertrauen. So lautet die Begründung für die fehlende Bereitschaft bei der privaten Flüchtlingsaufnahme laut Zeit Online nicht nur die Angst vor menschlicher Überforderung, es existiert auch „die Befürchtung, sich nicht verständigen zu können.“ Klar ist: Wer nimmt schon gern einen Fremden auf, der nicht die Sprache spricht? Dem man nicht erklären kann, wie eine Wohngemeinschaft funktioniert, was man unter keinen Umständen möchte? Und wie soll der Graben zu „diesen Ausländern“ denn überwunden werden, wenn das Kennenlernen von vornherein stark beeinträchtigt ist?

 

„Willkommen auf deutsch“

 

In den nächsten zwei Jahren steht der Finanzierung von Sprachkursen weniger Geld zur Verfügung: Statt 310 Millionen werden nur noch 180 Millionen von der Bundesregierung für die Förderung von Kursen bereit gestellt. Paradoxerweise aber steigt die Flüchtlingszahl. Dürfen die Asylbewerber bleiben, müssen sie natürlich Deutsch lernen, um auf dem Arbeitsmarkt und überhaupt in sozialer Hinsicht eine Chance zu haben. Auch bei den Integrationskursen fehlen laut einer Analyse der Süddeutschen Zeitung 300 Millionen Euro, um allen Hilfesuchenden einen Platz anbieten zu können.

Mittlerweile gibt es viele Freiwillige, die den Schutzsuchenden Deutschkurse anbieten. Die Dokumentation „Willkommen auf deutsch“ begleitet unter anderem eine Rentnerin, die einer Flüchtlingsfamilie Sprachunterricht gibt. Sie tut es gern, denn sie kann sich aufgrund ihrer eigenen Geschichte mit der Familie identifizieren: Sie weiß, wie wichtig es ist, jemanden zu haben, der einem hilft, Sprache und Kultur eines Landes zu verstehen.

 

Ein Pflaster ist nicht genug

 

Auch, wenn die Europäische Union gerade „Schiffe versenken“ spielt: Es werden immer Hilfesuchende kommen. Die EU ist großartig darin, Pflaster auf Probleme zu kleben. Aber wirklich etwas zu tun, um das grundlegende Problem zu beseitigen – das gelingt nicht. Wenn jedoch die Ungerechtigkeit nicht beseitigt wird, die aber doch die Menschen dazu zwingt, aus ihren Heimatländern zu fliehen, müssen andere Lösungen gefunden werden.

Die Heiserkeit ist keine Krankheit, sie ist ein Symptom. Meist ist sie ein Vorzeichen einer Erkältung, die noch abgefangen werden kann. Die Heiserkeit der Flüchtlinge kann auch abgefangen werden. Wir müssen ihnen die Chance geben, unsere Sprache zu lernen, damit sie eine Stimme haben, die auch wir verstehen. Selbst, wenn Sprachkurse kein Allheilmittel gegen die Besorgte-Bürger-Krankheit ist, so sind sie doch mehr als nur ein billiges Pflaster auf der offenen Wunde der mangelhaften Integrationsmöglichkeit. Sie sind eine der Brücken, die man braucht, um den Graben zwischen unserer und den fremden Kulturen überwinden zu können. Und es ist an der Zeit, diese Brücken zu bauen – und sie auf keinen Fall wieder einstürzen zu lassen.

 

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Bildquelle: in transition unter CC BY 2.0