Clueso: „Wir halten unseren Enkeln die Pistole an den Kopf.“

Draußen hat es über 30 Grad. Die Spiegel im Außenbereich hinter der Tollwood-Bühne machen es nicht besser. Überhaupt weckt das Ambiente – Kunstrasen, rote Polster, Spiegel an jeder Ecke – das Bedürfnis, einen Aufguss zu machen. So stelle ich mir Etablissements mit den Namen „Villa Fantasy“ oder „FKK Sunshine“ vor. Nackt ist zum Glück keiner. Auch nicht Clueso, als er aus seinem Container tritt und mich begrüßt.
Aufgrund der Hitze verziehen wir uns auch schnell wieder in den kühlen Container. Clueso ist 35. Vor knapp 15 Jahren erschien sein erstes Album. Mit seiner aktuellen Platte „Stadtrandlichter“ landete er direkt auf Platz 1 der deutschen Albumcharts. Er spielt mit Größen wie Wolfgang Niedecken, Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg. Er selbst ist zu einer Größe im deutschen Musikbusiness geworden. Doch wie er da so sitzt, sich auf der Couch fläzt, sich als Thomas vorstellt, offen, geradeheraus und locker spricht, könnte man glauben, man sitzt mit ihm in der Küche seiner Erfurter Künstler WG. Da sitzt kein Alter Ego. Clueso ist Thomas Hübner, Thomas Hübner ist Clueso.

Ich brauche trotzdem einen Pfeffi gegen die Aufregung. Clueso macht gerne mit. Die Klimaanlage rattert. Wir sprechen über Nachhaltigkeit.

ZEITjUNG.de: Servus am Tollwood. Du bist nicht zum ersten Mal hier, oder?

Clueso: Nein, ich war schon ein paar Mal hier. Ich war einmal zu Gast bei Wolfgang Niedecken und habe mit ihm einen Song performt. Selber haben wir hier aber auch schon gespielt. War immer extrem geil.

Hinter dem Tollwood-Festival steckt ein Öko-Gedanke. Taugt dir das?

Ja, auf jeden Fall. Wir versuchen, während unserer Tour auch möglichst nachhaltig zu sein. So, wie es eben geht für jemanden, der Entertainment macht. Letzten Endes ist es ja trotzdem so, dass man viel rausballert von dem ganzen Kram.

Den Begriff Nachhaltigkeit hört man oft, doch ist die Bedeutung eher schwammig. Was bedeutet Nachhaltigkeit in deinen Augen?

Ja, das ist echt schwierig, weil es ganz schön scheiße läuft auf der Erde. Das Thema Nachhaltigkeit ist da die Beschäftigung mit Ursache und Wirkung. Das Perverse, was wir machen, ist, dass wir unseren Enkeln die Pistole an den Kopf halten, und nicht uns selbst. Viele Dinge, viele Probleme werden noch auftauchen. Die meisten, die jetzt da sind, denken nur an ihre Amtszeit. Gerade Führende, die entscheiden können.

Müssen dann wir die Verantwortung übernehmen?

Wir müssen eine ganze Menge machen, weil eh schon so viel schief läuft, was kaum regelbar ist. Ich habe erst darüber gelesen, wie weit das Artensterben auf der Erde geht und wie groß die Gefahr ist, dass die Ozeane kippen. Da kommen ein paar Sachen auf uns zu. Die Frage ist, wie krass es wird. Man kann als Einzelner ein bisschen was machen, aber man kann sich auch als Masse verstehen und versuchen so viel Druck zu machen, dass da oben auch was passiert. Eine Masse hat einfach eine Power. Das ist so ungefähr, wie wenn ich zur Probe komme, den Chef spiele und glaube, voll die geile Idee zu haben. Wenn die Band aber sagt: „Alter, is scheiße“, dann läuft das nicht. Da kannst du dich für sonst wen halten. Das ist die Power der Gruppe.

Konkret auf deine Tour bezogen: Wie setzt ihr Nachhaltigkeit um?

Fakt ist: Wir leben über unsere Ressourcen. Wenn wir auf Tour gehen, versuchen wir das irgendwie zu regeln, einzudämmen. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Entertaining-Business tätig sind. Bei Kunst stellt sich sowieso immer die Frage: Was macht das eigentlich für einen Sinn? (lacht) Warum macht man das?

Es muss natürlich immer im Bereich des Machbaren liegen. Wenn das jetzt so teuer wäre, dass wir nicht auf Tour gehen könnten, wäre es schwierig. Inzwischen hängen da ganze Familien dran. Das darf man auch nicht vergessen. Es muss am Ende ökonomisch wie ökologisch Sinn machen. Wir versuchen einfach nur zu minimieren, was wir rausballern.

Zum Beispiel?

Wir schauen, dass wir nicht tausend neue Flaschen verwenden. Bei der Beleuchtung setzen wir schon lange auf LED. Das ist zwar mittlerweile selbstverständlich, aber wir haben früh damit angefangen. Es geht aber auch um persönliche Ressourcen. Darum, dass man kleine Dinge lebt, die man aufs Große übertragen kann. Das funktioniert, indem man Freunde einsetzt, die beispielsweise kochen und nicht große Firmen beauftragt. Einfach gucken, dass man viel selber macht. Das ist eine Lebensphilosophie, die auch draußen funktionieren könnte, wenn man einfach ein paar Sachen wieder selber macht.

Noch vor ein, zwei Generationen war dieses „selber machen“ selbstverständlich. Heute ist es eher ein Trend. Findest du es verwerflich, aus dem Trend heraus nachhaltig oder ökologisch zu handeln?

Ich denke, das ist scheißegal. Das Wichtige ist der Effekt, den das Handeln bringt. Eine Art Erfolgserlebnis. Rein erzieherisch funktionieren die meisten Sachen über so ein Erfolgserlebnis. Daher ist es mir egal, ob Leute aus einem Trend heraus gute Sachen machen. Geil ist es, dass durch den Erfolg einer Sache verstanden wird, dass ein positiver Effekt da ist.

Bei so einem Festival, wie dem Tollwood – Öko-Anstrich hin oder her – wird ihm großen Rahmen konsumiert. Am Ende des Tages fällt eine Menge Müll an und viele Ressourcen werden strapaziert. Hat das nicht einen faden Beigeschmack von Doppelmoral?

Ich glaube, es ist wichtig, dass das Publikum nicht mehr nur der reine Konsument ist. Das heißt, dass sowohl Veranstalter als auch Besucher ein Bewusstsein entwickeln und keine getrennten Einheiten bilden. Genau dann entsteht so ein Flavour wie zum Beispiel auf der Fusion, wo Leute sich einfach gegenseitig erziehen. Man einfach gewohnt ist, diesen Ort zu erhalten. So ein Spirit, wo die Leute sagen, wir halten das hier sauber. Das klappt, indem man die Leute einbezieht, ihnen Aufgaben gibt. Dann entsteht ein gemeinschaftlicher Gedanke und nicht: „Ich hab hier eh Eintritt bezahlt, irgendwer wird den Dreck schon weg machen.“
Ich finde, dazu gehört auch mal eine Ansprache. Coole Leute, Lichtgestalten, die nach vorne treten und sagen: „Hey, ihr wisst schon, dass das hier was Besonderes ist.“

Steht man als öffentliche Person also in der Schuld, Ansagen zu machen, Bewusstsein zu schaffen?

Als Künstler steht man in einer krassen Diskrepanz. Künstler sind alle Egoisten und dadurch auch keine gute Reklame für irgendwas. Das fällt dir nur auf die Füße. Ich habe angefangen, Musik zu machen, weil es das Beste für mich ist und dann kommt erst der ganze andere Kram. Du gehst deinen Weg und irgendwann fängst du an, deine Berühmtheit als eine Art Währung einzusetzen und zu schauen, dass sie stark bleibt. Es gibt Kollegen, die haben ein Image und müssen sich verhalten wie Arschlöcher. Ich nicht, ich kann so sein, wie ich bin. Das ist der Vorteil. Dadurch, dass ich so sein kann, wie ich bin, kann ich auch sagen: „Das find ich scheiße. Guck mal.“

Willst du denn den Zeigefinger heben und Veränderung predigen?

Ne, es ist schwierig, politisch zu sein. Es gibt aber ein paar Denkweisen, die ich gut finde. Zum Beispiel die Leute von Viva con Aqua. Die sind wie eine Friedensbewegung. Die sind untereinander so peacy. Die setzen sich nicht nur für Trinkwasser ein, sondern haben eine Denke dahinter, die einigen Leuten gut tun würde. Das schafft Orte, wo Gesetze ohne Brutalität herrschen. Klingt hippiemäßig, aber es geht darum, Verständnis zu erzeugen. Die Dinge, die man macht und die einen umgeben, zu lieben, cool zu finden und wertzuschätzen. Es sollte ein Bewusstsein entstehen, dass es nicht sein kann, dass die einen an Fettleibigkeit sterben, während andere verhungern, dass sich Leute aufregen, wenn andere auf der Flucht sind. Wir müssen gucken, dass wir den Planeten so erhalten, dass wir selbst darauf rumwandeln können.

Die Klimaanlage brummt noch immer. Clueso schaltet sie aus.

Jede Generation hat bekanntlich ihre Aufgaben und Herausforderungen. Ist es unsere Aufgabe, den Planeten zu retten?

Unsere Aufgabe ist es, zwischen den Zeilen zu lesen, weil es unglaublich viel Ablenkung gibt. Wir können uns den ganzen Tag bedaddeln mit allem, was wir cool finden. Die Amis haben das super raus: Serien gegen Lebenszeit. Wie viele Serien ich schon gekuckt habe, in der Zeit, in der ich eine tolle Aktion hätte machen können. Das ist unsere Aufgabe. Sich von den Informationen und der Prokrastination zu lösen und zu agieren.

Stichwort Entscheidungslethargie.

Ja. Ich kann ja alles machen, wie geil. Mach ich halt mal nüscht. (lacht)

Aber du machst ja schon was. Woher kommt dein Antrieb zum nachhaltigen Handeln?

Das ist mein Umfeld. Ich bin das selber gar nicht so krass. Ich bin jemand, der extrem schaut, dass er am Ende Musik machen kann. Ich bin nur die Präsentationsfigur, die Kühlerfigur für das Umfeld. Ich habe ein Umfeld, das sehr viel über die Dinge nachdenkt und versucht, Dinge cool zu machen. Da bin ich glücklich drüber. Ganz ehrlich, wenn das anders wäre, weiß ich nicht, wie weit ich eingreifen würde, wenn dadurch die Gefahr bestünde, dass ich nicht mehr Musik machen kann.

Du bist dir sehr bewusst, dass extrem viel falsch läuft in der Welt. Stehst du den möglichen Veränderungen auf unserem Planeten trotzdem optimistisch entgegen oder eher pragmatisch?

Nachdem, was ich gestern über das Artensterben gelesen habe, glaube ich nicht mehr so daran. Den Planeten an sich wird die ganze Zerstörung langfristig nicht stören. Es ist nur schade, dass es gewisse Arten – und dazu können auch wir gehören – dann nicht mehr gibt. Der Planet selber, der wehrt sich, der schüttelt das ab und es wird etwas Neues entstehen, das genauso wertvoll ist. Und weil es wertvoll ist, was wir haben, müssen wir uns dafür einsetzen, es zu erhalten.

Das ist die Utopieangst, die ich habe. Ich weiß, wir befinden uns in einem Gefahrenbereich, der so groß ist, dass es Auswirkungen geben wird, die nicht mehr zu verhindern sind. Das soll aber nicht heißen, dass wir jetzt nochmal so richtig aufdrehen und sagen: „Scheiß drauf!“

Jetzt aber doch „Scheiß drauf!“ Worauf könntest du bei aller Liebe zum Planeten nie verzichten?

Ich glaube, ich könnte auf alles verzichten, solange ich Musik machen darf. Ich kann verzichten, wenn es das verlangt. Das ist genau der Gedanke, den der Mensch entwickeln muss. Als Musiker auf einen Rechner zu verzichten, ist tatsächlich schwierig, aber wenn es drauf ankäme, langt mir die Gitarre.