Studierende erzählen, wie sie mit dem Terror in Istanbul umgehen

Von Serenay Cuci

Terror hier, Terror da, Terror, du bist überall. Und in Istanbul warst du ganz besonders oft. Wieso entscheiden sich Studenten trotz aller Gefahren dazu, ein Auslandssemester ausgerechnet in Istanbul anzutreten? Wieso bleibt man auch nach den Anschlägen dort? Was bewegt Studenten selbst jetzt noch zu einem Erasmussemester in Istanbul? Und wie schafft man es eigentlich, ein entspanntes Leben zu führen, ohne sich von der Angst einschüchtern zu lassen?

Drei Anschläge in fünf Monaten ereigneten sich in Istanbul, zwei in Ankara und viele weitere verteilt in der Türkei. Einige Studenten erlebten sogar den Putschversuch hautnah mit. Abgesehen von den tatsächlichen Anschlägen gab es viele Warnungen, erhöhte Sicherheitskontrollen und die Sozialen Medien wurden oftmals gesperrt. Klingt doch ziemlich abschreckend. Und ja, Terror ist schrecklich und nicht nachvollziehbar, er kann lähmend sein, hinterlässt sichtbare Spuren und verbreitet Angst. Dieses Gefühl spüren wir heutzutage im Kollektiv. Sogar Gomez flüchtete aus Istanbul und übel nehmen können wir es ihm nicht. Also warum sich selbst dieser Gefahr ausliefern?

Dazu kann – oder sollte – man zunächst die Frage beantworten, ob diese Angst berechtigt ist. Hierzu ließen wir Studenten, die ihr letztes Semester in Istanbul verbracht haben oder dieses noch vor sich haben, offen berichten: über ihren Studenten-Alltag mit Blick auf den Bosporus, bunten Menschenmengen, süßen Katzen und Hunden, chaotischer Perfektion und welche Rolle der Terror und die Angst hierin spielten.

 

 

 

Dorothea, 23

studiert Psychologie in Schottland

 „Als naives, deutsches Kind hatte ich keine Ahnung, was ein Militärputsch für Konsequenzen für die Türkei haben könnte.

„Schnell vergaß ich meine anfänglichen Zweifel, als ich in diese atemberaubende Stadt zog. Meine Gedanken drehten sich nicht um den Terror, sondern hauptsächlich um die großartigen Menschen, die ich kennenlernte und all die neuen Eindrücke des grandios chaotisch-entspannten Lebens dieser Stadt. Mehr als die Angst vor Terror gingen mir außerdem die politischen Spannungen im Land nahe. Eine meiner Professoren wurde unrechtmäßig verhaftet und regelmäßig gingen mutige Menschen meines Alters auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Dabei riskierten sie ihre Gesundheit, Freiheit und sogar ihr Leben. Terror schien ein eher nebensächliches Thema zu sein, eher wie etwas Schlimmes, das passieren konnte, aber nicht den Alltag der Menschen bestimmte, wie die Politik es tat.

Am Abend des 15. Juli 2016 saß ich mit meinem Freund am Bosporus-Anleger im Istanbuler Viertel Beşiktas. Wir tranken Çay und quatschten, bis die Sonne unterging. Es war einer dieser perfekten, warmen Istanbuler Abende. Nach Sonnenuntergang blickten wir noch auf die Lichter der Bosporus-Brücke, die heute die „Brücke der Märtyrer des 15. Juli“ heißt, und spazierten dann nach Mecidiyeköy, wo mein Freund in einer WG lebte. Dort angekommen machten wir gut gelaunt Pizza und aßen auf der Dachterrasse. Plötzlich kam der Mitbewohner auf die Terrasse warnte uns: niemand solle heute aus dem Haus gehen, Panzer würden die Bosporus-Brücke und den Atatürk-Flughafen versperren.

Schnell wurde jedem klar, dass die Lage ernst war und dass es sich wohl um einen Militärputsch handelte. Man rechnet mit vielem. wenn man dieser Tage in Istanbul lebt, aber hierauf war ich nicht vorbereitet. Als naives, deutsches Kind hatte ich keine Ahnung, was ein Militärputsch für Konsequenzen für die Türkei haben könnte. Aus den Reaktionen der türkischen Mitbewohner schloss ich jedoch, dass mit nichts Gutem zu rechnen war. Besorgt beobachteten wir von der Terrasse aus, wie Menschen noch schnell große Ladungen an Wasser und Lebensmitteln kauften, bevor sie wieder in ihren Häusern verschwanden. Bis in die frühen Morgenstunden sahen wir ratlos die Nachrichten, in denen Erdogan uns über Facetime zu überzeugen versuchte, auf die Straßen zu gehen. Irgendwann bekamen wir sogar eine SMS mit einem persönlichen Aufruf, „die türkische Demokratie zu verteidigen“. Wir sahen Bilder von gewalttätigen Auseinandersetzungen, aber vor allem feiernde Erdogan-Anhänger, die seinem Appell gefolgt waren und sich fahnenschwingend versammelt hatten. Schon nach etwa fünf Minuten schüttelten die Türken in der WG ihre Köpfe und sagten, dass das Ganze vermutlich inszeniert sei, so sähe kein Militärputsch aus. Egal wer oder was tatsächlich hinter den Geschehnissen dieser Nacht steckte, sie waren eine der unheimlichsten Erfahrungen meines Lebens. Wir hörten Schüsse, Explosionen und Rufe von Erdogan-Anhängern auf den Straßen und später flogen Jets mit lautem Krach dicht über unser Dach im sechsten Stock hinweg. Es ist ein extrem unangenehmes Gefühl, sich in seinem eigenen Haus nicht mehr sicher zu fühlen und ich mag mir nicht ausmalen, was Menschen in Kriegssituationen durchleben müssen, die tatsächlich in Gefahr sind. Ich war mir in dieser Nacht recht sicher, dass mir nichts passieren würde, trotzdem hatte ich Angst. Ich war mir unsicher ob ich meinen Flug am darauffolgenden Montag nehmen konnte und hoffte, dass Land problemlos verlassen zu können. Dabei wurde ich wieder einmal daran erinnert, was für ein Privileg es war, überhaupt diese Möglichkeit zu haben.

Die Gefahren durch Terror, Amokläufe oder dem Putschversuch scheinen unvorhersehbar. Doch je länger ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass das Leben voll von solchen unvorhersehbaren Gefahren ist. Sie sind nur weniger medienpräsent, deshalb denkt man nicht ständig an diese. Es hilft, sich immer wieder klar zu machen, dass man auch im Angesicht einer unendlichen Vielfalt von möglichen Gefahren sein Leben lang, jeden Tag auf die Straße ging und dies auch in Zukunft tun wird. Im Angesicht von Terror ist nun die größte Herausforderung, logisch zu denken und zu handeln. Und deshalb war die einzig logische Reaktion auf Terroranschläge für mich, mein Leben weiter zu führen wie bisher, vielleicht mit erhöhtem Respekt vor der unbezwingbaren Macht des Zufalls und mehr Genuss für den Moment, aber möglichst frei von Ängsten.“