Polizeigewalt Deutschland Angst Demonstration

Liebe Polizei, du machst mir Angst

Einer 18-Jährigen wird auf einer Anti-Pegida-Demonstration in München von einem Polizisten des Unterstützungskommandos (USK) mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Die darauf folgende dringende Bitte, einen Rettungswagen herbeizurufen, wird ihr verwehrt.

Eine 30-Jährige wird mit Handschellen gefesselt, als sie, gerade vom Einkaufen kommend, aus Versehen in eine Kundgebung von Pediga gerät. Als sie sich lautstark über die unverhältnismäßige Behandlung beschwert, sagt der Polizist: “Ja, ich tue Ihnen weh!” Später flattert der Münchnerin ein Strafbefehl wegen Beleidigung ins Haus.

Als ich, minderjährig, faustgroße blaue Flecke auf den Armen, heulend, weil mein Vater mich verprügelt hat, die Polizei rufe, tritt die Polizistin in das Chaos meines Zimmers und meint schulterzuckend: “Wird schon, mein Vater war auch streng mit mir.”

 

USK – Spezialität aus Bayern

 

Ich kenne niemanden, der in München lebt und noch keine unangenehmen Begegnungen mit der Polizei hatte. Das liegt nicht etwa daran, dass meine Bekannten allesamt aus dem Antifa-Milieu stammen oder geklaute Autos verticken. Es liegt an der bayerischen Polizei. Die hat eine lange Liste an – nennen wir es mal Verfehlungen – auf dem Buckel. Länger als die Polizei in anderen Bundesländern, so scheint es zumindest. Das USK zum Beispiel gibt es nur in Bayern, deren Verfehlungen sind sogar bei Wikipedia zu finden. Massive Aggressionshandlungen mittels Schlagstöcken, zum Teil auf Kinder und Frauen gerichtet. Splitternackte Leibesvisitationen bei Demonstrierenden, die bei einem Gottesdienst ein Plakat entrollt hatten. Misshandlungen und Demütigungen unter Kollegen. Die oft mit Sturmhauben ausgestatteten Beamten des USK unterliegen beim Auftreten in geschlossenen Einheiten nicht der Ausweispflicht nach bayerischem Polizeiaufgabengesetz, nur der Einsatzleiter gibt dann Auskunft über die Identität der Beamten. Das führt unter anderem dazu, dass in der Vergangenheit bereits vermummte USKler freigesprochen wurden, weil sie nicht eindeutig identifiziert werden konnten.

 

Freund und Helfer?

 

Früher, als wir noch Kinder waren, hat mir meine Mutter eingebläut, mich immer an einen der netten Herren mit den grünen Mützen zu wenden, sollte ich mal Hilfe brauchen. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich diesem Rat folgen würde. Zu oft hat mich der Freund und Helfer enttäuscht. Als vor meinem gewalttätigen Vater Hilfe suchender Teenager. Als Teilnehmer einer Demonstration gegen die NPD. Als Bürger einer Stadt, die Kleinkriminelle wie Schwerstverbrecher behandelt und meine dunkelhäutigen Freunde „rein routinemäßig“ auf Drogen kontrolliert, während ich, blond, blauäugig, daneben stehe.

Wir können den Fokus noch weiter öffnen. Können nach Berlin schauen, wo die rechtswidrige Teilräumung der Rigaer Straße stattgefunden hat. Nach Hannover, wo 2014 zwei Flüchtlinge offenbar schwer misshandelt wurden und ein Beamter seinem Kollegen schrieb, dass sie wie die Schweine gequiekt hätten. Oder nach Amerika, wo die Polizeigewalt derzeit albtraumhafte Folgen nach sich zieht.

 

90 Prozent der Ermittlungsverfahren eingestellt

 

Man muss weder Linker, noch politischer Aktivist sein, um zu erkennen, dass bei dem ein oder anderen Polizisten etwas gewaltig schief läuft. Kriminologen kritisieren schon seit langer Zeit eine „mangelhafte Fehlerkultur“ bei der Polizei, der „Code of Silence“ – was auf der Dienststelle passiert, bleibt in der Dienststelle – ist allgegenwärtig. Das beweisen auch die Zahlen: „2013 mündeten 20 Prozent der insgesamt 4,5 Millionen Ermittlungsverfahren in Deutschland in eine Anklage oder einen vergleichbaren Strafbefehl, etwa 30 Prozent wurden mangels Tatverdacht eingestellt. Von den 4.553 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten in diesem Zeitraum wurden fast 90 Prozent mangels Tatverdachts eingestellt“, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Peer Stolle, Strafverteidiger aus Berlin, rät im Artikel außerdem, Polizisten nur im Ausnahmefall anzuzeigen. Denn: „Wer einen Polizisten nach einem Übergriff anzeigt, muss fast immer mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands und falscher Verdächtigung rechnen.“

 

Knochenjob mit schwarzen Schafen

 

Polizist oder Polizistin zu sein, das ist ein wirklich harter Job. Ein Job, den ich persönlich nicht machen möchte. Ein Knochenjob, der im Ranking des allgemeinen Ansehens wahrscheinlich noch unterhalb von Journalisten und Schlachtern zu finden ist. Nichtsdestotrotz hat sich jeder Polizeibeamte dafür entschieden. Viele davon aus dem ehrlichen Wunsch heraus, der Gesellschaft mehr Sicherheit zu schenken. Andere, weil sie gerne Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen. Und offensichtlich gibt es genügend schwarze Schafe, die diese Präferenzen ausleben können – zum Teil auch noch von ihren Kollegen geschützt.

Es muss also ein Weg gefunden werden, diese Menschen schon beim Einstellungsprozess herausfiltern zu können. Psychische Gutachten, zum Beispiel. Experten fordern manchmal auch Sozialpraktika für angehende Polizisten, „damit sie mit ihren Vorstellungen von der Macht der Uniform auf dem Boden der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ bleiben. Denn es ist ein Fakt: Machtmissbrauch durch Beamte ist real. Er passiert. Vielleicht nicht jeden Tag, aber immer noch zu oft.

Liebe Polizei, ich will dir vertrauen. Ich will in dir einen Freund und Helfer sehen, an den ich mich wenden kann, wenn mir Unrecht widerfährt. Ich will mich darauf verlassen können, dass ich nicht anders als der Normalbürger behandelt werde, nur weil ich friedlich gegen Abendlandverteidiger demonstriere. Und ich will verdammt noch mal nicht alle paar Wochen lesen müssen, wie gewalttätig ihr manche Mitglieder unserer Gesellschaft behandelt, nur weil auf eurem Rücken diese sieben eindrucksvollen Großbuchstaben stehen.

 

Thema Polizeigewalt: Wie sieht Polizeigewalt rund um die Welt aus?


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Bildquelle: Konrad Lembcke unter CC BY-ND 2.0