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Ist ein Leben ohne Arbeit lebenswert?

Ich erinnere mich an mein Poesiealbum, das kleine rosa Ding, in der Grundschule die unumstößliche Messlatte für Beliebtheit: War es voll, warst du King. Oder so ähnlich. Als ich es nun wieder aufgeklappt habe, bin ich über eine ganz bestimmte Frage gestolpert: Was ist dein Traumberuf? Allein das Wort “Traumberuf“ erscheint mir mittlerweile blauäugig. Als könnte man sich seinen Job aussuchen: Dann wären viele von uns nämlich mittlerweile Chefredakteurin der Wendy (beliebte Pferde-Fachzeitschrift) oder Astronaut. Damals erschien alles möglich. Was mir aber wirklich seltsam vorkommt: Wieso fragen wir Grundschüler, was sie später mal beruflich machen möchten? Wieso fragen wir sie nicht, wer sie später mal sein möchten, wo sie gerne leben möchten, was sie gerne er-leben möchten?

Die Antwort ist Arbeit

Die Antwort: Arbeit hat einen erschreckend hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Nicht umsonst lautet auch im Erwachsenenalter die locker-lässige Einstiegsfrage auf jeder Party “Was machst du so?“ und nicht “Wer bist du?“. Das ist nämlich gar nicht so wichtig, wenn du einen geilen Job hast. Wie sehr lassen wir uns von dieser großen, abstrakten Sache “Arbeit“ eigentlich definieren? Und wie sehr trauen wir uns, auch mal drauf zu scheißen? Wie viele von uns sagen ganz bewusst “Ja, ich will!“ zur Arbeit und wie viele leben eine lieblose Scheinehe mit ihrem Job? Aber ohne ist ja auch doof, oder?

Was gegen den Status “arbeitslos“ spricht, ist natürlich das schnöde Geld. Taler. Mammon. Asche. Wer kann schon ganz ohne leben? Du nicht, ich nicht und dein lässiger Hippienachbar, der im Hinterhof anbaut, auch nicht. Alle brauchen Geld, auch wenn manche es nur ungern zugeben möchten. Aber das erklärt nur den Akt des Arbeitens, das erklärt nicht, wieso wir uns so sehr durch unseren Job definieren, wieso uns Arbeit so unfassbar wichtig ist: Du bist, was du machst.

Zwischen Fassungslosigkeit und Verständnis

Ein Beispiel aus dem echten Leben: Die Bekannte einer Bekannten N., die ich auf einer Party kennenlerne und die mir offen und unverblümt erzählt, dass sie sich dafür entschieden hat, Geld vom Staat zu beziehen, anstatt die Jobs anzunehmen, die ihr vom Arbeitsamt angeboten werden. Sie macht sich selbst arbeitsunfähig. Sie hat einfach keine Lust für geringes Einkommen in der Großküche Zwiebeln zu schälen. Einen richtigen Job? Darauf habe sie, trotz Ausbildung, auch keine Lust.

Ich schwanke zwischen Fassungslosigkeit und Verständnis. Auf der einen Seite ist ihre Realität so weit entfernt von der eigenen: Neben dem Studium habe ich zwei Aushilfsjobs und wäre noch nicht mal abgeneigt einen dritten anzunehmen. Was sich anhört wie die ultimative Selbstbeweihräucherung, soll genau das nicht sein, denn was ich damit eigentlich sagen möchte: Ich will unbedingt arbeiten. Ich, wie so viele andere, definiere mich bis zu einem relativ hohen Grad durch meine Arbeit. Die Bekannte einer Bekannten N. tut das nicht. Sie hat sich aktiv dagegen entschieden und kommt mit dem Geld, das sie vom Staat und durch gelegentliches Jobben auf Festivals bekommt, gut über die Runden.

Unser “Arbeitsfetisch“

Wenn Patrick Spät in der ZEIT also schreibt, dass der „Arbeitsfetisch sich tief in die DNA der westlichen Industrienationen eingeschrieben“ hat, dann meint er genau das: Wer nicht arbeitet, wie N., der schockiert, der stößt auf Unverständnis und im schlimmsten Fall auf blanke Verachtung. Und das von sonst so aufgeklärten jungen Menschen, die sich gar nicht mal so sehr um ihre Steuergelder sorgen, sondern mit einem Konzept des Nicht-Arbeitens konfrontiert werden, das sie einfach nicht kennen.

Schuften bis zum Burnout oder der Depression erscheint uns meist die bessere Alternative zur Arbeitslosigkeit. Egal wie beschissen der Job auch ist. Es ist Zeit, die ganze Sache noch mal zu überdenken. Es muss auch anders gehen. Irgendwo zwischen dem Abenteuerleben auf einer Yacht, wie die Jungs von Seasick Sailing und der Arbeitsverweigerung N.s muss es doch ein gesundes Mittelmaß geben, das uns dabei helfen kann, uns vom “Arbeitsfetisch“ zu lösen.