Lissabon WLAN

Lissabon: Ein Städtetrip ohne WLAN

Vom Krieg ist sie verschont geblieben, ein Erdbeben hat viele ihrer Viertel zerstört, eine Diktatur wurde in ihren Straßen besiegt: Lissabon ist eine Stadt, deren Ecken und Gassen voll sind von Geschichte, Architektur, Kunst und Leben. Den anderen Kulturzentren Europas steht die portugiesische Hauptstadt wirklich in nichts nach. Eines aber scheint es nicht zu geben: uneingeschränkten Zugang zum Internet. Und das ist ein Problem. Oder besser gesagt: mein Problem.

Gibt’s hier kein WLAN?!

 

Wenn die Füße schon wieder zu lange über den Heimatboden gewandert sind, kommt bei mir der Moment, in dem ich es nicht mehr länger aushalte: Es ist an der Zeit, die Zahl auf meinem Bankkonto weiter gen Null sinken zu lassen und den Betrag in ein Flugticket umzuwandeln. Diesmal hatte ich diesen Punkt Mitte Januar erreicht. Der winterliche Charme hatte sich ausgecharmet und eine Reise in den Süden bot den einzig erträglichen Lichtblick – Lissabon, eine Stadt, in die ich schon immer wollte, wurde zum Ziel meiner gedanklichen Flucht aus der nicht enden wollenden dunklen Jahreszeit.

Lissabon also. Fünf Tage Sommer, Sonne, das Meer gleich um die Ecke. Fünf Tage voll mit Sonnencreme, Sonnenbrand und kurzen Kleidern. Fünf Tage voller Wein, Natas und Fado, voller Entspannung und Abenteuer. Ende April sollte das doch möglich sein, dachten wir.

So weit, so unrealistisch. Das Wetter ließ während des gesamten Aufenthalts über zu wünschen übrig. Es war bewölkt und nieselte immer wieder. Aber immerhin – die Gefahr, sich in einen Krebs zu verwandeln, sank drastisch. Das viel größere, wetterunabhängige Problem aber war: WLAN war in unserem Hostel leider ausverkauft. Das ging nur vor dem Computerzimmer gut, im Gang schon schlecht und durch die Tür in unser Doppelzimmer hinein wollte es uns überhaupt nicht mehr folgen. Wie ein verschreckter Hund blieb es davor sitzen, winselnd und darauf hoffend, wir würden zurück in den Gang kommen und es endlich nutzen.

Ein unfreiwilliger Selbstversuch

 

In einer Zeit, in der wir ständig die Möglichkeit haben, mit allen immer und überall in Kontakt zu sein, stellten diese fünf Tage Urlaub eine ungewollte Herausforderung dar. Das Smartphone, seit Monaten mein ständiger Begleiter, mein treuer Briefträger und –kasten, war 120 Stunden lang nur eingeschränkt das, was es sonst 24/7 ist: meine Verbindung zu meinen Freunden. Der Gebrauchsgegenstand, mit dem ich ständig alles sofort mit allen teilen kann. Das ständige Vernetztsein ist auch auf Reisen eigentlich kein Problem mehr: Viele Hostels bieten WLAN an, Unterkünfte ohne frei zugängliches Internet gibt es kaum noch. Aber eigentlich ist es auch etwas, auf das ich auch mal gut verzichten könnte, da ich daheim eh viel zu viel im Internet unterwegs bin. „Mal richtig abschalten“, dachte ich mir noch vorm Flug, „das tut bestimmt gut.“ Und ich war überzeugt davon, dass es mir auch nicht schwer fallen würde. Die Handy-Abhängigen, das waren für mich immer die Anderen. Bis jetzt.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich überlegt, wie man den unschönen Begriff „Sucht“ noch unschöner definieren könnte. Die klugen Männer und Frauen der Organisation kamen nach einigem Hin und Her zu folgender Erkenntnis: Sucht ist „ein Zustand periodischer oder chronischer Vergiftung, hervorgerufen durch den wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Droge.“ Und wenn folgende Kriterien zutreffen, sollte man sich ernsthaft Gedanken machen: unbezwingbares Verlangen zur Einnahme und Beschaffung des Mittels, Tendenz zur Dosissteigerung (Toleranzerhöhung), psychische und meist auch physische Abhängigkeit von der Wirkung der Droge, Schädlichkeit für den Einzelnen und oder die Gesellschaft, Verlust der Kontrolle über das eigene Verhalten.

Ich mache mir ernsthaft Gedanken. Ich weiß, das schwarze Rechteck in meiner Hand ist keine Droge im Sinne der WHO. Sollte es aber. Spätestens nach dem ersten Tag Lissabon schlich sich nämlich ein ungutes Gefühl ein. Den Nachmittag über, als wir am Tejo entlang zur Praça do Comércio spaziert sind, uns staunend unter dem Triumphbogen hindurch geschoben und an Bettlern vorbeigedrückt haben, hat es mich nicht gestört. Aber dann, am Mittagstisch, als das Handy neben mir Platz genommen hatte und dennoch stumm geblieben war, bin ich unruhig geworden. Bereits dort, in diesem wunderbar verkachelten Restaurant, zeigte sich das erste Kriterium meiner Sucht: das kaum zu kontrollierende Verlangen, ständig übers Display zu wischen. Und diese ungewohnte Stummheit des Kommunikators hatte mich soweit irritiert, dass es sich von dieser Stunde an auch auf meine Psyche auszuwirken begann. Je weiter der Urlaub fortschritt, desto mehr vermisste ich es, mit meinen Freunden zu schreiben. Eine Unruhe überkam mich, die ich nur vorm Computerraum sitzend in den Griff bekam.

Das schlechte Gewissen, mein neuer Begleiter

 

Der Informatiker Alexander Markowetz von der Universität Bonn fand 2014 heraus, dass wir jeden Tag drei Stunden mit unserem Smartphone verplempern. Bis der Minutenzeiger einmal eine Runde gedreht hat, haben wir sechs Mal überprüft, ob etwas Neues passiert ist. Und 35 Minuten verschwenden wir damit, Kleinscheiß über WhatsApp hin- und herzuschicken. Das sind keine bahnbrechenden Neuigkeiten, aber diese auf einmal persönlich bestätigen zu können, ist nicht schön. In Lissabon hatte ich sehr viel mehr Zeit, die ich in der realen Welt verbringen musste. Und das war – und ich fühle mich nicht gut bei diesem Geständnis – hart.

Dieses schlechte Gefühl, das mich überfällt, sobald ich mein geliebtes Samsung unter meinen Fingerkuppen spüre, ist laut Markowetz normal. „Wir beschäftigen uns viel mit dem Ding, aber irgendwie macht es uns nicht glücklich. Es stiehlt unsere Zeit. Und es schafft eine Art Unwohlsein“, fasst er die Auswirkungen auf unseren unkontrollierten Konsum für Welt.de zusammen. 2009 verbrachte ich zwei Wochen auf den Fiji-Inseln, ohne Handy, ohne Internetzugang. Ich habe es als eine wunderbare Zeit in Erinnerung. Und jetzt, fünf Tage in einer Stadt, in einem Hostel ohne funktionierendes WLAN – und ich hatte das ständige Gefühl, mir würde etwas fehlen.

„Was hast du gesagt?“

 

Ein weiteres Kriterium der WHO erfüllte sich ebenfalls schnell: die Schädlichkeit für die Gesellschaft. Am zweiten Tag unseres Städtetrips hatte ich eine bestimmte Stelle in meinem Bett gefunden, an der ich Empfang hatte. Wenn ich das Handy in einem bestimmten Winkel Richtung Wand hielt zumindest. So begann mein Tag und so beschränkte sich auch die morgendliche Konversation auf die Frage, ob man gut geschlafen hätte. Ein paar Nachrichten später war ich dann auch wieder kommunikationsfreudiger – und bereit, einen Tag ohne das Warten auf das grüne Telefonzeichen im linken Eck meines Handys zu überstehen. Und diese restlichen Stunden waren einzigartig und schön. Sehenswürdigkeiten, neue Eindrücke und viele Gespräche fanden darin ungestört Platz. Nur abends die halbe Stunde Ruhepause im Hostel vorm Abendessen wurde dazu genutzt, die besten Bilder und Kurzinformationen zu verschicken.

Markowetz vergleicht unsere Handysucht mit dem Rauchen. Wir wissen, dass weder das Reinziehen von Teer noch das ständige Herumgetippe gut für uns ist. Und wir fühlen uns auch schlecht, wenn wir es tun, vor allem, wenn wir in Begleitung anderer Personen sind. Und es nervt auch. Sich mit jemandem zu unterhalten, der ständig eine zweite, stumme Unterhaltung mit seinem Smartphone führt, ist mehr als nur anstrengend. Es ist ermüdend, weil die – durch das Aufs-Smartphone-Gestarre bedingte – Frage „Was hast du gesagt?“ einen fließenden Dialog unmöglich macht. Menschen, die mit dem Rauchen aufhören wollen, tun laut Markowetz Folgendes: „Sie verändern ihre Umgebung. Sie meiden Orte, an denen geraucht wird. Und sie meiden Situationen, in denen sie gerne rauchen, wie etwa beim Feierabendbier.“ Ähnliches Szenario also bei mir in Lissabon: Weil ich selber merkte, wie sehr ich schon von meinem Handy abhängig war, fing ich am dritten Tag an, den Gang zu meiden. Ich lief schnell durch die verwinkelte WLAN-Falle in unser Zimmer, sobald wir zurück im Hostel waren. Ich habe versucht, mein Handy vorm Ausgehen auf dem Nachttisch zu lassen. Und hatte es sich doch in meine Tasche geschlichen, musste es darin ausharren, bis wir wieder zurück im Hostel waren.

Ich kann nicht sagen, dass mich diese fünf Tage unfreiwilliger Entzug geheilt hätten. Dafür schreibe ich nach wie vor viel zu gerne witziges bis unwitziges Zeug an sämtliche Kontakte. Aber die Pause hat gut getan. Und sie hat mich wieder dafür sensibilisiert, was eigentlich wichtig ist: das bewusste Wahrnehmen von der Gesellschaft realer Personen, von realen Gesprächen und neuen Orten. Kurz gesagt: Das Leben an sich ist dadurch wieder in den Mittelpunkt meines Interesses gerückt. Und diese Erkenntnis allein ist schon ein hoffnungsvoller Schritt in die richtige Richtung.

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Bildquelle: FaceMePLS unter CC BY 2.0