Konflikt Streit Maul auf machen Menschen

Macht endlich das Maul auf! Warum wir uns mehr streiten sollten

Von Anna Hackbarth

Wir müssen reden. Darüber, dass niemand mehr reden will. Jedenfalls nicht ernsthaft. Nicht, wenn es ans Eingemachte geht, wenn es darum geht, auch mal Karten und Herz auf den Tisch zu legen, Dinge laut auszusprechen und damit beim Gegenüber möglicherweise nicht direkt frenetischen Applaus auszulösen. Wir haben ein Streitproblem.

Ich habe da so eine Angewohnheit. Manche mögen sie eine schlechte nennen, ich zähle sie eher zu meinen guten Eigenschaften. Ich spreche Dinge ehrlich an. Ich sage, wenn mir etwas nicht passt, auch mal unbequeme Wahrheiten, selbst wenn sie mich selbst betreffen. Ich halte es nämlich für wichtig, dass mein Gegenüber weiß, woran er ist und ich glaube daran, dass so das Miteinander funktioniert. Auch wenn ich mir damit nicht immer nur Freunde mache. Ich gelte nämlich genau wegen dieser Eigenart zuweilen als unbequem. Zugegeben, ich mache es meinen Mitmenschen nicht immer ganz leicht – mir selbst aber auch nicht. Schließlich lässt sich wohl niemand sonderlich gern seine Unzulänglichkeiten unter die Nase rubbeln und wer gern mal auf die Kacke haut, muss eben damit rechnen, sich am Ende auch selbst hinterfragen und sich seinen eigenen Fehlern stellen zu müssen. Und wer ist da schon so richtig scharf drauf? Aber wie brachte uns schon die liebste Omi bei: Das Leben ist kein Ponyhof. Kein Ort für Feiglinge. Und Ehrlichkeit erfordert eben auch immer eine ordentliche Portion Mut. Aber gerade eben dieser scheint viele irgendwo zwischen Grundschule und Uniabschluss verlassen zu haben.

 

Lieber Harmonie und Wohlbefinden

 

Als Teenie haben wir noch allzu gern das aufmüpfige Köpfchen durchgedrückt und so manchen Kampf mit Family und Friends leidenschaftlich ausgefochten. Heute üben wir uns lieber in bescheidener Zurückhaltung. Man ist angepasst, nicht kompliziert. Harmonie und allgemeines Wohlbefinden stehen heute weiter oben auf der Prioritätenliste als Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Wenn es dann doch mal irgendwo zwickt, wird das Ganze lieber totgeschwiegen. Nach dem Motto „Wenn ich nichts sage, ist es auch nicht da“, hoffen wir, dass da nicht doch jemand kommt, der mehr Mumm in den Knochen und ein ausgeprägteres Rückgrat hat, den Finger doch in die Wunde legt und womöglich einen Streit provoziert. Das heißt aber nicht, dass auch hinter der Fassade Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Es wird gelästert und gemeckert, gestichelt und beleidigt. Nur offen gestritten wird eben nicht, denn das haben wir offenbar verlernt. Und ich rede nicht von irrationalem Geschrei, sturem Rechthabenwollen. Ich meine, dem anderen zuhören, argumentieren, sich Gedanken machen und in den anderen hineinversetzen, bis man erschöpft unter der Bettdecke oder in drölf Litern Wein abtaucht. Streit ist anstrengend, bedeutet Aufwand. Zu viel für viele. Da lässt man es dann doch lieber gleich bleiben. Dabei ist so eine gepflegte und aufrichtige Streitkultur etwas sehr Heilsames.

Klappe halten und runterschlucken um des lieben Friedens willen hilft am Ende nämlich weder einem selbst, noch dem Gegenüber wirklich weiter. Man mag mich nun egoistisch schimpfen, weil ich dem persönlichen Bedürfnis nachgebe, den Mund aufzumachen und jemanden damit womöglich in eine Lage zu bringen, die ihm die Schweißperlen auf die Stirn und die Röte ins Gesicht treibt. Vielleicht ist es das auch zu einem gewissen Grad. Aber letztlich doch auch alles andere als das. Am Ende ist es nämlich vor allem alles andere als easy peasy, sich seinem Gegenüber so zu öffnen, bedeutet eine ehrlich geführte Konfrontation doch auch immer, sich selbst zu öffnen, sich selbst zu reflektieren und möglicherweise auch die eigenen Schwächen zu Tage fördern. Kein Wunder, dass da viele direkt panisch in Deckung gehen, bevor sie sich selbst angreifbar machen. Aber ist es damit nicht viel egoistischer und nicht zuletzt auch ziemlich unfair, dem anderen die Chance zu verweigern, sich erklären zu können, weil ich selbst schlichtweg zu feige bin und sofort die Flucht ergreife, sobald ein sich anbahnender Streit wie ein riesenhafter Elefant in den Raum getrampelt kommt?

 

Ehrlich – aber bitte konstruktiv

 

Natürlich ist Ehrlichkeit auch immer eine Gratwanderung. Was ist wirklich konstruktive Kritik und was kann ich auch einfach mal für mich behalten? Man muss ja nicht immer alles fröhlich in die Welt posaunen, was einem grad so durchs eigensinnige Köpfchen turnt. Ganz ohne ehrliche Worte kommt am Ende aber keine zwischenmenschlichen Beziehung aus, ob nun die zu Kollegen, Bekannten oder vor allem nicht die zu den liebsten Herzmenschen. Weil Menschen eben unterschiedlich ticken, sich aneinander reiben – und das ist auch gut so.

Am Ende ist Streit immer ein Wagnis. Aber definitiv kein Beinbruch. Im Gegenteil. Denn auch, wenn man niemals wissen kann, ob einem das Ganze nicht selbst um die Ohren fliegt und etwas gesagt wird, das man nicht hören will, lohnt sich der Aufwand. Warum? Streit ist immer auch ein gegenseitiges Zugeständnis. Er bedeutet „Du bist es mir wert!“. Du bist es mir wert, mir Gedanken zu machen. Du bist es mir wert, dass es anstrengend wird. Ich öffne mich Dir, mach mich selbst verletzlich und das bist Du mir wert. Streit schafft Nähe. Nicht umsonst fliegen die Fetzen am häufigsten bei jenen Menschen, die uns am nächsten stehen. Oder anders gesagt: Wer liebt, der streitet. Wer streitet, der liebt.