Sexismus: Zeigt her eure Ärsche!

Seufz. Schon wieder ein beschissener Artikel über Sexismus und Rape Culture und Slut Shaming und all den anderen Schmu, den uns die Hardcore-Feministinnen seit Jahren um die Ohren hauen. Ich kann das Stöhnen der Feminismusgeplagten fast schon hören. Wie sie die Nase voll haben von gendergerechter Sprache und Frauenquote und gleichem Lohn. Das ist doch so langweilig und ausgelutscht und unsexy. Kann nicht mal wieder jemand was Nettes schreiben?

Ich würde wirklich lieber was Nettes schreiben, was über gerettete Katzenbabys oder so. Das mach ich allerdings erst dann, wenn ich mal morgens die Zeitung aufschlagen kann, ohne bei der ersten Schlagzeile meinen Kaffee über die Cornflakes speien zu müssen. Täglich konfrontiert mich die deutsche Presse mit so unglaublichen Titeln wie Hotpants-Verbot an deutschen Schulen. Mitbekommen? In Horb am Neckar hat die Schulleiterin vor einiger Zeit einen Brief an die Eltern der Schüler geschickt: „Sehr geehrte Eltern, in letzter Zeit müssen wir gehäuft feststellen, dass Mädchen der Werkrealschule sehr aufreizend gekleidet sind“, heißt es darin. „Diese Entwicklung stimmt uns nachdenklich und wir haben entschlossen, dass wir an unserer Schule keine aufreizende Kleidung dulden wollen.“ Und weiter: „Es geht uns dabei nicht um die Unterdrückung der Individualität Ihres Kindes. Wir wollen damit ein kleines Stück zu einem gesunden Schulklima beitragen, in dem sich alle wohlfühlen und in dem gesellschaftliche und soziale Werte gelebt und gefördert werden.“ Seitdem sind die heißen Hosen auf dem Schulgelände verboten – bei Zuwiderhandlung werden übergroße T-Shirts an die betreffenden Schülerinnen ausgeteilt, die sie dann bis zum Schultagesende tragen müssen. Man möchte brechen.

 

Gesellschaftliche Werte – my ass!

 

So so, gesellschaftliche Werte werden also gefördert. Das dachte sich wahrscheinlich auch Franz Josef Wagner, als er seinen geistigen Müll  über die (Online-)Leserschaft der BILD kleckerte. „Liebe Familienpolitik“, begann er seinen Kommentar, „Die Geburtenrate kann die Sterberate nicht ausgleichen. Schuld ist der Zeitgeist. Mütter machen Karriere, Mütter haben Hosenanzüge an, Mütter geben ihre Kinder in Kitas ab, Mütter verdienen mehr als ihre Männer. (…) Sie sind keine Mütter mehr.“ In diversen weiteren, geradezu grotesk lustigen Zeilen verteufelt FJW das Karrierestreben junger Frauen und unterstellt ihnen, sich anstatt mit Kindererziehung nur noch mit Smoothies zu befassen. Der wohlverdiente Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten: mit dem Hashtag #SmoothiesgegenWagner formierte sich innerhalb kürzester Zeit amüsierter Widerstand gegen den BILD-Schreiberling.

Als BILD-Verweigerer stößt man dankenswerterweise nur auf Franz Josef Wagner, wenn wieder irgendeine geistig stark zurückgebliebene Facebook-Bekanntschaft einen BILD-Online-Link geliked hat. Klar, er produziert Texte, die auf dem gleichen Niveau wie eine nachmittägliche RTL II-Sendung liegen und erreicht damit viele, viele Menschen. Aber: sexistische Kacke ist man von der BILD-Zeitung gewohnt. Und: die Wenigsten werden Wagners dämliche Ergüsse überhaupt ernst nehmen, dafür sind sie zu realitätsfern, undifferenziert und einfältig.

Und trotzdem fügt sich Wagners Kolumne nahtlos in eine besorgniserregende Entwicklung ein, zu der man auch die Hotpants-Debatte zählen kann – eine Entwicklung, die Mädchen und Frauen verdammt, wenn diese leben, arbeiten und anziehen, was und wie sie möchten. Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov zeigt, wie schwer sich Deutschland in (Nicht-)Bekleidungsfragen tut: Demnach würden sich 51 Prozent der Deutschen für ein Hotpants-Verbot an allen weiterführenden Schulen aussprechen. Warum bloß? Was macht den Anblick nackter Beine so unerträglich, dass man ihn grundsätzlich verbieten möchte? Sind wir auf dem Weg zurück ins 19. Jahrhundert?

 

Zensurpflicht nur für weibliche Nippel

 

Es scheint tatsächlich so, als ob sich einige Mitglieder unserer Gesellschaft die Zeiten zurück wünschen, in denen Frauen ausschließlich zwischen Herd, Ehebett und Kinderzimmer umhereilten und ein entblößter Knöchel noch Schlagzeilen verursachte. Anders lässt sich die Debatte um die Zurschaustellung nackter Haut, die sich aktuell auf gleich mehreren Körperteilen abspielt, nicht erklären. Auf weiblichen Körperteilen, versteht sich. An entblößten Männerwampen mitten in der Innenstadt stört sich nämlich niemand. Stattdessen wird weiterhin heftig darüber diskutiert, ob weibliche Nippel nun anstößig sind oder nicht. Wie bitte?!

Die #freethenipple-Bewegung weist bereits seit Jahren auf die offensichtlichen double standards hinsichtlich weiblicher Brüste hin. Besonders im Internet schlägt sich die Doppelmoral nieder, wenn weibliche Brustwarzen zensiert werden müssen, männliche hingegen gezeigt werden dürfen. Bilder mit weiblichen Brüsten sind laut den Gemeinschaftsrichtlinien von Facebook und Instagram verboten, „wenn darauf Brustwarzen zu sehen sind“. Wenn ein Kerl allerdings seinen #dadbod in voller Pracht zur Schau stellen möchte, schert sich keine Sau um seine Nippel. Ach, diese makellose Logik.

 

 

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Bleibt die Frage: warum nur sind weibliche Brustwarzen so unerwünscht? Weil sie an Brüsten hängen? Oh Gott, Brüste! Wer macht denn sowas! Also bitte. Ich muss genau drei Schritte in Richtung Zeitschriftenregal gehen, schon wackeln mir knapp zwanzig Titten und dreißig Pobacken entgegen. Kim Kardashian klatscht ungefragt ihren öligen Hintern auf diverse Cover, und auch das BILD-Girl erfreut sich immer noch größter Beliebtheit – was also will Facebook mit der Nippel-Zensur schützen? Die Erregung, die uns beim Anblick eines entblößten Busens packt? Der Zug ist schon lange abgefahren.

 

Nackte Haut? Im TV ja, in Realität – bitte nicht

 

Die Debatte um nackte Haut wird noch lächerlicher, wenn man sich die Art und Weise, mit der in Deutschland Werbung gemacht wird, einmal genauer anschaut. Ganz offensichtlich herrscht in der deutschen Werbeindustrie eine krasse Übersexualisierung vor; wenn in der Werbung Frauen dargestellt werden, sind sie fast immer „billig, doof, nackt oder am Herd“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. Nicht zu verneinen, wenn uns Gina-Lisa Lohfink und Micaela Schäfer aus dem Fernseher entgegen strahlen und ekstatisch „Ich bin billig!“ in die Kamera hauchen, während sie sich leicht bekleidet in roten Bikinis räkeln und damit für einen Online-Elektrohändler werben – zur besten Sendezeit, versteht sich.

24 Stunden am Tag, sieben Mal die Woche werden wir von nackter Haut zugedröhnt. Auf Werbetafeln, in TV-Spots und in Zeitungen. Wir sind übrigens auch Weltmeister im Porno-Gucken, nur mal so nebenbei. Wieso also darf frau kein Oben-ohne-Strandbild posten, wenn sie es möchte, und wieso kann eine Schülerin bei 35 Grad keine kurzen Hosen anziehen?

Wer nach Antworten sucht, sieht sich im Online-Forum der Süddeutschen Zeitung um: unter dem Titel „Wie sieht angemessene Kleidung in der Schule aus?“ diskutieren die Leser über genau diese Frage – die Antworten sind abenteuerlich bis schlicht dumm. „Im Menschen steckt – bei aller Kultur – immer noch eine Menge „Tier“. Wenn sich nun ein Mädchen so kleidet, dass man BH, Bauch und Beine sieht, dann ist das nunmal ein erregender Anblick. (…) Als Mädchen sollte ich nicht ständig alle Jungs (inkl. Lehrer…) in einen erotischen Ausnahmezustand versetzen wollen“, schreibt ein Nutzer. Und schon kotze ich meinen Kaffee wieder über die Cornflakes.

 

Mit wenig Stoff gegen den Unterrichtsstoff

 

Das, was dieser User im Forum propagiert, nennt sich Victim Blaming. „Es geht nicht um den Stoff, es geht um Schuld, um Kontrolle und Autonomie“, fasst es Margarete Stokowski in der taz zusammen. Es geht um selbst verschuldete Vergewaltigung, um wissentlich provozierte Übergriffe. Es geht darum, dass Opfer sexualisierte Gewalt erwarten müssen, wenn sie sich zu sexy anziehen/zu viel trinken/zu viel flirten. „Übergriffe sind dann etwas, was einzelne Opfer eben hinnehmen müssen, wenn sie sich nicht hinreichend verteidigt haben. Das ist dann dumm gelaufen. Nächstes Mal besser aufpassen. Dass es immer wieder dieselben Muster sind, nach denen Grenzen überschritten und Machtstrukturen ausgenutzt werden, kann man ignorieren, wenn man die Schuld den Opfern gibt.“

Der Grund für das Hotpants-Verbot ist also, dass der Anblick nackter Haut Schüler wie Lehrer erregen und somit vom Unterricht ablenken könnte. „Wenn Jungs im Unterricht nicht mehr auf die Tafel schauen, sondern auf den Bauchnabel des Mädchens neben ihnen, dann ist jede Lösung, die sich nur um den Bauchnabel kümmert, und nicht um den Jungen, eine schlechte“, schreibt Stokowski. Denn die Folgen können verheerend sein: „Im schlimmsten – aber nicht unwahrscheinlichen – Fall führt sie dazu, dass Mädchen sich, wenn ihnen etwas Unangenehmes passiert, nicht trauen, es zu erzählen, weil sie denken, sie seien selber Schuld.“

Wenn man sich an „unpassender“ Kleidung in der Schule stört – bitteschön. Dann setzt die Verbote aber konsequent durch. Statt eines Hotpants-Verbots gibt es dann eben Schuluniformen – für Schüler, wie für Lehrer. Denn, oh Wunder, auch die können „unangebracht“ gekleidet sein! Man denke nur an die schreiend bunten Hawaiihemden oder die grausam verfusselten Zopfmusterpullis, die uns allen tagtäglich in den Klassenzimmern begegnet sind. Wenn die nicht auch vom Unterricht abgelenkt haben, dann weiß ich auch nicht.

 

Zieht doch an, was euch gefällt

 

Ansonsten: Lasst sie doch alle anziehen, was sie wollen. Auch wenn ich persönlich die Mini-Hotpants mit den heraushängenden Arschbacken schon aus pragmatischen Gründen eher unpraktisch finde – man stelle sich vor, damit auf einem dieser versifften U-Bahn-Kunstleder-Sitze zu hocken, wäh – sollte es doch jedermanns Recht sein, sich die Dinger anzuziehen. Vielleicht findet man es sexy, vielleicht sind sie tatsächlich bequem, vielleicht möchte man auch einfach mal wieder einen hübschen Ausschlag am Hintern bekommen. Ist mir persönlich ziemlich wumpe, wieso man das anzieht. Es ist mir ja auch egal, wenn Opa Helmut zum senfgelben Polohemd wieder die Socken-in-Sandalen-Kombi wählt. Ich würd’s nicht tragen, aber wenn du das willst, mach doch. Warum zur Hölle sollte ich mich betroffen fühlen, wenn mein Gegenüber sich nicht so kleidet, dass es meinen stilistischen oder moralischen Mindestanforderungen entspricht?

In Frankreich wurde übrigens letztes Jahr eine Frau von einer Mädchengang verprügelt – weil sie beim Sonnenbaden im Park einen Bikini trug. Für die Gruppe war es „amoralisch“, dass die junge Französin in der Öffentlichkeit so viel Haut zeigte. Ein Einzelfall, hoffentlich. Denn, so formuliert es Stokowski höchst treffend: „Eine Gesellschaft, in der nackte Frauen in der Werbung einerseits Aufmerksamkeit auf Produkte ziehen sollen und in der Frauen im Alltag andererseits aufpassen sollen, nicht „aufzureizen“, hat ein sehr grundsätzliches Problem.“

 

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Bildquelle: 55Laney69 unter CC BY 2.0