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Freundschaftspause: Wenn die besten Freunde auf lange Reise gehen

Jeder hat Freunde, die nach dem Abi mal für ein Jahr nach Australien abhauen oder eine Reise durch Thailand und Vietnam unternehmen. Kurz vor dem Abflug feiert man meist noch ein letztes Mal zusammen, bevor der Freund ins Unbekannte aufbricht. Ihr freut euch über jede Neuigkeit und jedes Foto, das er auf Facebook teilt und bleibt übers Internet in Kontakt. Nach dem Ende der Reise geht ihr zusammen in eure Stammkneipe und erzählt euch, was ihr in der vergangenen Zeit erlebt hat.

Einfach mal alles zurück lassen und loslaufen

So oder zumindest so ähnlich habe ich mir das auch vorgestellt, als mir mein guter Freund Leon zum ersten Mal von seinem Vorhaben erzählt hatte. Er hatte überlegt, auf die Walz zu gehen. In handwerklichen Ausbildungsberufen gehen seit dem Mittelalter freigesprochene Gesellen für mindestens drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft, um neue Arbeitspraktiken, fremde Orte und neue Menschen kennenzulernen. Damals war es noch Pflicht, heute ist es freiwillig. Ich freute mich riesig für ihn und malte mir schon aus, was für wundervolle Dinge er in dieser Zeit erleben würde. Einfach mal alles zurück lassen und loslaufen, ohne Plan, ohne Sicherheit – wer von uns hat noch nie davon geträumt?

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Doch über die nächsten Monate lernte ich immer mehr, was das wirklich bedeuten würde. Denn die Wanderjahre sind mit einigen Regeln verbunden. Die meisten dieser Prinzipien kenne auch ich nicht, aber Leon erklärte mir zumindest die wichtigsten Einschränkungen. Über die gesamte Zeit der Walz darf er beispielsweise nicht näher als 50km an seinen Heimatort herankommen, er darf kein Handy besitzen und für die ersten drei Monate gilt eine absolute Kontaktsperre zu Freunden und Familie. Gerade die letzte Regel konnte ich nur bedingt verstehen. Natürlich soll man sich auf die Wanderschaft einlassen und das ist schwer, wenn man gedanklich noch immer in der Heimat hängt – aber ist wirklich so viel Zeit dafür notwendig? Früher hatten wir fast täglich Kontakt. Wir haben uns geschrieben, uns spontan auf einen Kaffee getroffen oder einfach nur in Erinnerungen geschwelgt. Das alles fällt jetzt weg und ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll.

Ist es egoistisch traurig zu sein?

Am Tag seiner „Losgeh“ Feier machte ich mich mit einer Freundin auf den Weg, um Leon ein letztes Mal zu sehen. Die Abschiedsfeier fand bereits am vorherigen Wochenende statt, doch wir konnten ihn nicht ohne richtige Verabschiedung ziehen lassen. Als wir in seinem Heimatort ankamen, stellten wir fest, dass wir zu spät waren. Er war bereits losgegangen. Kurze Panik machte sich im Auto breit, doch dann erkannten wir eine Gruppe einheitlich gekleideter Gesellen auf dem Weg zum nächsten Ort. Der Abschied war kurz und leider überhaupt nicht so, wie wir ihn uns erhofft hatten. Eine Umarmung, ein paar liebe Worte – und schon saßen wir wieder im Auto. Und erst hier waren wir wieder fähig zu denken und zu fühlen. Erst da wurde uns klar, dass er jetzt wirklich weg ist – dass wir keine Ahnung haben, wann wir ihn das nächste Mal wiedersehen werden. Diese Feststellung ließ unsere Fassade zerbrechen und wir weinten die gesamte Fahrt nach Hause.

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Den restlichen Tag konnten wir uns immer nur vorübergehend ablenken. Doch sobald die Gedanken wieder zu schweifen begannen, packte uns die Traurigkeit mit festem Griff. Wir hatten das Gefühl, einen Freund verloren zu haben. Dabei war er weder verschwunden, noch war ihm etwas zugestoßen. Wir fühlten uns schlecht, weil wir uns traurig fühlten. Denn eigentlich sollte es ja ein fröhlicher Moment sein. Schließlich werden die Wanderjahre für ihn wohl zur wundervollsten Zeit seines Lebens. Sind wir also egoistisch, weil wir traurig sind? Jain. Ich glaube nicht, dass nur wir traurig sind. Schließlich lässt Leon ja nicht nur seine Freunde zurück. Auch von seinen Geschwistern, seinen Eltern und Großeltern musste er sich verabschieden. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie schwer ihm das gefallen sein muss. Den gesamten Weg muss er zu Fuß zurück legen und darf dabei nicht zurück blicken. Als wir später seine Eltern treffen, fassten sie das Gefühl ziemlich gut in zwei Worten zusammen: ‚traurig schön‘. Wir wollten alle nicht, dass er geht, aber freuten uns gleichzeitig für ihn.

In drei Jahren verändert sich dein ganzes Leben

Drei Jahre sind eine lange Zeit. Anfangs hatte ich mir eingeredet, dass die 36 Monate schnell verfliegen würden. Denkt man aber genauer darüber nach, sind es 1095 Tage, in denen sich viel verändern kann. Wenn ich über die letzten drei Jahre meines Lebens nachdenke, macht mir das Angst. Ich habe mit dem Studium begonnen, neue Freunde gefunden, bin von Zuhause ausgezogen, wurde selbstständiger und habe viel über mich gelernt. Jetzt bin ich eine ganz andere Person. Was, wenn ich Leon nach der Wanderschaft also nicht wiedererkenne?

Reisen verändert dich immer und erst Recht über eine lange Zeit. Habe ich also doch einen Freund verloren? Zumindest werde ich Leon, so wie ich ihn in Erinnerung habe, wahrscheinlich nicht wiedersehen. Diese Erkenntnis macht mir am meisten zu schaffen. Erst über die letzten Jahre hat sich unsere Freundschaft zu einer sehr engen und für mich sehr wichtigen entwickelt. Und nun bin ich gezwungen, das alles wieder aufzugeben. Ich kann nichts tun als zu warten und zu hoffen, dass wir uns in drei Jahren nicht noch einmal neu kennenlernen müssen. Es ist natürlich gut möglich, dass ich mal wieder schwarzmale, was eigentlich weiß gehört und es letztendlich überhaupt nicht so schlimm sein wird, wie ich es befürchte.

Egal wie es wird, ich vermisse ihn schon jetzt und würde einfach nur gern wissen, wie es ihm geht und ob er eine schöne Zeit hat. Aber das wird wohl noch mindestens drei Monate warten müssen.