Benjamin von Stuckrad-Barre

Benjamin von Stuckrad-Barre: „Comeback nach Maß“

“Comeback nach Maß“ – Wer sich bereits bei der Headline an Billigphrasen vergreift, ist entweder völlig verzweifelt oder aber die Story gibt nichts Besseres her. In diesem Fall trifft dies (zumindest letzteres) jedoch nicht zu. Lediglich soll der Porträtierte mit einem Mindestmaß an Zitaten gewürdigt werden. Die Phrase “Comeback nach Maß“ ist hier also ein direktes Zitat des genialen Autors ‚himself‘ – der große Benjamin von Stuckrad-Barre, der schon während seiner Lesung geahnt hat, wie wir, das kleine ZEITjUNG, über ihn titeln werden. Diesen Gefallen tun wir ihm gerne.

Wenn ich groß bin…

 

Raus aus der Tristesse der niedersächsischen Provinz – rein ins verführerische Meer des bunten Musikbusiness! Schon auf den ersten Seiten des autobiographischen Buches „Panikherz“ ist klar: Hier beschreibt jemand das abgefahrene Erwachsenenleben, wie ich es mir als Kind ausmalte. Nach etwa dem ersten Drittel der 576 Seiten revidiert sich diese Sichtweise jedoch drastisch. Logisch: Lange berauschte Nächte, umgeben von Musikern und schillernden Persönlichkeiten, ein Leben für den Absturz – geht schlechter.

Was dem Benjamin sein Udo Lindenberg, ist Dave Grohl für mich: Musikalischer Held und Wegbegleiter. Und dann findet Letzterer auch noch Erwähnung in diesem Wirrwarr der Eskalation. Doch ziemlich genau hier enden die Gemeinsamkeiten im Lebenslauf von Benjamin von Stuckrad-Barre und mir. Wobei: Ganz fremd ist mir der Stellenwert, welchen er dem Thema Ernährung beziehungsweise der Verweigerung eben dieser einräumt, auch nicht. 

 

Stuckimann und die Klischees

 

Jetzt sitzt er da, der irgendwie tragische Anti-Held und liest in einem Leinen-Kunststofffaser-Gemisch herrlich lakonisch und – hier wird die bittere Ironie des deutschen Kalauergebrauchs deutlich – NÜCHTERN aus seinen dunkelsten Tagen und Nächten. Seine Einstellung zum Essen scheint sich nach wie vor nicht geändert zu haben. Beim Abstützen auf dem Tisch schießen die Schultern jedenfalls bedrohlich spitz in die Höhe.

Die erste Halbzeit des Programms gestaltet sich noch auffallend launig. Johannes B. Kerner und Veronica Ferres (jaja!) geben sich die Ehre und bewähren sich als souveräne Vorleser, die sich die ein oder andere barsche Bemerkung vom Star der Show gefallen lassen müssen. Dass von Stuckrad-Barre sich das Scheinwerferlicht teilt, ist definitiv nicht vorgesehen. Der Lesungsablauf wirkt stringent durchchoreografiert und dennoch versteht „Stuckimann“ das Publikum mit seiner Ruhelosigkeit anzustecken.

Die ersten sieben Glimmstängel sind binnen kürzester Zeit inhaliert und auch ansonsten gleicht seine Gestik die eines verhaltensauffälligen Hundewelpen im Spaßbad: Stirn abwischen, Finger an die Lippen, Griff zum Wasserglas, Hand am Shirt abwischen, Griff zum Wasserglas, am Kopf kratzen, Griff zum Wasserglas, wippendes Bein unter dem Tisch… Und das alles in sensationeller Geschwindigkeit. Die Textabschnitte wurden im Voraus klar verteilt. Dennoch liest Protagonist und Autor Stuckrad-Barre jede Zeile Wort für Wort lautlos mit. Wobei nicht ganz eindeutig zu sagen ist, ob er wirklich noch liest oder die Wörter bereits auswendig mitspricht.

 

Die schmächtige Überpräsenz

 

Der zweite Teil nach der Pause beginnt ernster. Zumindest inhaltlich. Und auch der Hausmeister scheint am Lichtdimmer geschraubt zu haben.  Das schmale Männchen Benjamin von Stuckrad-Barre sitzt nun alleine hinter seinem Tisch und füllt die Bühne sowie die Halle dennoch vollständig aus. Seine Überpräsenz erzeugt sogar irgendwie klaustrophobische Zustände, gegebenenfalls ist dies jedoch auch dem nachlassenden Sauerstoffgehalt im Raum geschuldet.

Trotz dem inhaltlichen Stimmungsumschwung (von spaßigen Kindheitserinnerungen zur vollkommenen Selbstzerstörung), ist sowohl auf als auch vor der Bühne der Drang groß, die gute Laune aufrecht zu erhalten. Viele irritierende Lacher an unpassenden Stellen. Aber offensichtlich sind diese nicht ganz unbeabsichtigt, Stuckrad-Barre lässt sich zumindest nicht aus dem Konzept bringen. Imitiert weiterhin Dietl und Lindenberg in Perfektion. Allein hierfür hat sich das Liveerleben des Buches gelohnt. Wie prägend seine Idole tatsächlich waren wird deutlich sobald von Stuckrad-Barre seine Parodiekünste zum Besten gibt.

 

Was ist schon normal?

 

Es ist anzunehmen, dass keiner der Anwesenden Ähnliches erlebt hat, wie der dort sitzende Typ, dem durch gezielten Scheinwerfereinsatz der Blick in die Zuschauergesichter erspart bleibt. Denn was würde er dort sehen? Nickende Zustimmung à la „Wir können alle so gut nachvollziehen was du meinst. Uns ging es auch allen schon einmal so schlecht.“ Für einige gilt dies vielleicht. Für die Mehrheit aber ganz bestimmt nicht. Sicher, jeder ist für sich selbst verantwortlich und (Achtung, erneuter Phraseneinsatz) seines Glückes fucking Schmied. Keiner habe ihn gezwungen im Drogensumpf zu versinken. Das ist korrekt. Aber schmälert dies den Erfolg ins normale Leben zurückzufinden? Wobei ‚normal’ und ‚Leben von Benjamin von Stuckrad-Barre’ vermutlich auch nicht in einem Satz genannt werden sollten.

 

„Spatzl, lies‘ das mal so!“

 

Gute drei Stunden bestes Entertainment. Und das beherrscht der Held des Abends sowie des Buches tatsächlich: Unterhaltung. Wie ein Showmaster – wobei die Körpersprache auch bei einem Zirkusdirektor vorstellbar ist – weißt von Stuckrad-Barre nicht nur seine Aushilfs-Vorleser an („Spatzl, lies das mal so!“, „Zeile 147, da geht’s weiter.“), sondern leistet den Zuschauern zudem Hilfestellung in der Auswahl der eigenen Empfindung („Achtung, jetzt wird’s noch mal schön!“, „JETZT bin ich aufgeregt!“). Das Publikum ist eine skurrile Mischung aus Groupies der ersten Stunde (am unverhältnismäßig lauten Lachen sowie dem Stellen unangenehm persönlichen Fragen nach dem offiziellen Programm zu erkennen), neu gewonnenen Fans, welche vor allem durch das farbenfrohe Cover auf die Geschichte aufmerksam geworden sein dürften sowie

(Ehe-)Paare gesetzteren Alters, die aus der Ferne der Spezies Lehrer naturwissenschaftlicher Fächer zuzuordnen sind. Diese schmunzeln vor allem stumm in sich hinein, sobald die Handlung deutschhistorische Bezüge herstellt (Ost-West-Witze gehen schließlich immer).

 

Eine überdurchschnittliche Rock’n’Roll-Show

 

Seit dem 14. März ist von Stuckrad-Barre mit seinem Werk Panikherz auf Lesereise und füllt dabei Hallen, die eine Woche später durch Kult-Bands wie Nada Surf oder die Überflieger von AnnenMayKantereit ausverkauft werden. Und auch während der Lesung – eigentlich ja ein ruhiges Abendvergnügen – erinnert vieles an eine überdurchschnittliche Rock’n’Roll-Show: Die Zuschaueranzahl, die Bühnenbeleuchtung, die Bierpreise und nicht zuletzt der Sauerstoffmangel. Bereits vor, aber vor allem nach seinem Auftritt ist also klar, dass Stuckrad-Barre das geschafft hat, wovon er in seiner Jugend stets geträumt hat: Bei den Großen mitspielen und irgendwie Teil dieser eigenartigen Welt sein. Wie er diesen Status erreichte, beschreibt sein Buch wahnsinnig anschaulich. Dabei immer distanziert zum eigenen Können, dafür aber umso ehrlicher im Eingeständnis eines abartigen Selbstdarstellungstriebes. Die Namen, die im Verlauf der Handlung auftauchen, beeindrucken: Gottschalk, Courtney Love, Harald Schmidt, Westernhagen, Bret Easton Ellis und natürlich Udo – immer wieder Udo.

Zunächst Musikgott und Vorbild, später Freund und sowas wie ein Seelenretter. Die Entwicklung dieser seltsamen Beziehung ist plastisch beschrieben und beginnt bereits in der Kinderstube des jungen Benjamins. Jung wirkt er noch immer. Jung und gehetzt. Und mit diesem Gefühl blättert man als Leser auch durch die Seiten. Ein Typ, der mit 25 Jahren literarisch bereits das geschafft hatte, wofür andere Autoren ein ganzes Leben lang ackern – meistens vergebens. Den Drang diesen Hype aufrecht zu halten, immer präsent zu sein und nachlegen zu müssen, den hat er bis heute augenscheinlich nicht verloren. Das Buch hinterlässt kein gutes Gefühl, dafür aber aus Nervosität abgekaute Fingernägel.

Mit Sicherheit könnte das Buch mit doppelt so vielen Namen von Prominenten protzen, aber das tut Benjamin von Stuckrad-Barre nicht, erwähnt seine Beziehungen und Affären zu prominenten Frauen lediglich am Rande und gelassen ironisch. Hier schreibt sich jemand sein Elend von der Seele und brüstet sich nicht mit vergangenen Erfolgen und Eroberungen.

 

Das Ende vom Lied

 

Am Ende bleibt nicht anderes übrig als Harald Schmidt beizupflichten, der das Stuckrad-Barre Debüt „Soloalbum“ einst wie folgt rezensierte: „Jugend der Welt – kauf dieses Buch und lies es!“ Selten und zwar wirklich selten, wird man als Leser mit einer derartigen Antriebs- und Hilfslosigkeit, Versagens- und Zukunftsängsten aber auch dem Gefühl immer mehr zu wollen und keine Grenzen zu kennen, konfrontiert, wie während des Lesens von Panikherz. Es ist ein vergleichsweise langes Buch und irgendwann verläuft es in eine Spirale der Lethargie und Dunkelheit, um im nächsten Moment einen harten Cut und sinngemäß den kalten Entzug zu vollziehen.

Zwar klärt Panikherz darüber auf, wie es zu dem herangezogenen Harald Schmidt Zitat kam, aber in diesem Fall sollte kein Freundschaftsdienst nötig sein, also: Jugend der Welt – kauf dieses Buch und lies es!   

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Bildquelle: Julia Zimmermann