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Die Eltern-WG: Von Trennung, Chaos und Zusammenhalt

Vermutlich hat in den letzten Jahrzehnten nahezu kaum ein Begriff einen so bedeutenden Wandel durchlebt wie der Begriff „Familie“. Die 50er Jahre Kleinfamilie, welche lange Zeit gänzlich einsam und alleine auf dem großen Feld der Familienmodelle herrschte, musste in den letzten Jahren einiges einstecken und ordentlich Platz machen für ganz neue Lebensformen. Die Palette ist bunt und sie reicht inzwischen von alleinerziehend über Patchwork- und Regenbogenfamilien bis hin zu 68er-Wohngemeinschaften und Mehrgenerationenfamilien. Wo in der Vergangenheit eine Beziehung aus Mann und Frau die Norm war, sind heute endlich auch gleichgeschlechtliche Ehen akzeptiert.

Wo das Ja-Wort einst auf Lebenszeit versprochen wurde, gibt es heute jede Menge Streitigkeiten, Scheidungen und Rosenkriege. Wo damals Kinder nur gezeugt werden konnten, wenn beide Elternteile zeugungsfähig waren, gibt es heute Eizellen- und Samenspende. Wo es früher stets Kinder geben musste, um sich als „glückliche Familie“ darzustellen, gibt es heute jede Menge Pärchen mit Hund und Katz, die ihr Glück ebenfalls kaum fassen können. Zusammengefasst lässt sich sagen: Es gibt heutzutage die verschiedensten Familien- und Beziehungsmodelle und jeder kann sich genau das herauspicken, was er für richtig, angenehm und angemessen hält.

Und meine Eltern so: No risk, no fun

Man könnte meinen, dass mit dieser Palette an bunten Möglichkeiten jeder bedient wäre – doch meine Eltern konnten mich auch nach einigen Jahren immer noch überraschen. Die beiden Chaoten mussten auf all diese Muster noch ein neues, moderneres, verrückteres und chaotischeres drauf legen. Es scheint so, als hätten sie sich damals, vor 10 Jahren, an einem dieser 365 Tage im Jahr gedacht: „No risk, no fun!“ und sich anschließend waghalsig hinein gestürzt. Kopfüber in die Trennung und die anschließende Idee weiterhin in einer Wohngemeinschaft zu leben. Wir gehen nun getrennte Wege“, sagten sie. „Wir werden das probieren“, meinten sie. „Für euch wird sich nichts ändern!“, versprachen sie.

Es war also endlich raus. Nach einem halben Jahr voll lautstarker Streitigkeiten, gesuchten Lösungen und möglichen Kompromissen, welche ich durch gute Recherchen an meiner dünnen Zimmerwand stets mitverfolgen konnte, kamen meine Eltern zu dem Entschluss, dass eine Trennung wohl das Beste sei. Mein Bruder und ich konnten das mit Fassung tragen, so wie eine 11-jährige und ihr kleiner Bruder solche Nachrichten nun einmal aufnehmen. Zu dieser Zeit stellte ich mir öfter die Frage, ob erwachsen werden wirklich so gigantisch ist, wie viele sagen –  wenn doch alles so kompliziert scheint. Trennungen waren mir nicht gänzlich unbekannt, denn auch in meinem Freundeskreis lebten einige mit getrennten oder sogar geschiedenen Eltern.

„Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden – sowas von 2001“, dachte Mama…

Ich stellte mich bereits auf das altbewährte Ping Pong Spiel unter getrennten Elternteilen und den anschließenden Rosenkrieg ein, während ich meinem Bruder versuchte die Lage näher zu bringen. Die Regeln waren bei diesem Spiel leicht zu verstehen: Unter der Woche wohnen bei Mama, am Wochenende zu Besuch bei Papa, nicht über den anderen sprechen und somit Streit vermeiden. Zugegebenermaßen hatte ich damals, trotz meiner Begeisterung für Spiele, ziemlich wenig Lust mitzuspielen und damit war ich scheinbar nicht der einzige Spielverderber. Meine Eltern sind überraschenderweise ebenfalls zu dem Entschluss gekommen, dass weder das bekannte Ping Pong noch ein Rosenkrieg die Lösung für ihr Problem sein könnte. Sie mussten sich schleunigst etwas Neues überlegen – das taten sie. Ich sagte bereits, dass ich mit Trennungen vertraut war, doch keiner meiner Freunde hatte mich auf den Vorschlag, der seitens meiner Eltern kam, vorbereitet.

Der Masterplan: Eine Wohngemeinschaft zu viert, in der alles beim Alten bleibt. So wurde eine Zeit voll Streitigkeiten und Kompromissen, von einer Zeit voll Chaos, getrennten Schlafzimmern, großen Kritikern und starken Nerven abgelöst.