Bore-Out-Langeweile-Leidenschaft

Bore-Out: Kann man von Langeweile krank werden?

Wir sind in unseren wilden Zwanzigern: Das ist das blühende Leben, das ist das Hier und Jetzt! Oder? Nicht so ganz, denn Unzufriedenheit, Erschöpfung und Netflix stellen uns ein Bein und lassen uns buchstäblich durch die Jahre zwischen unserem 20. und 30. Lebensjahr stolpern. Ein zäher Brei aus langweiligen Aufgaben wird uns tagtäglich vorgesetzt und vermiest uns die „besten Jahre unseres Leben“. So die These.

Ein Beleg: Katharina, 25, arbeitet als Redakteurin bei einem kreativen Magazin. Kurz vorm Druckdatum, also genau jetzt, ist dort einiges zu tun. Schnitte und Artikel sollten seit einiger Zeit fertig sein. Wie jeden Monat, hat das nicht so ganz geklappt. Die Redaktion des Magazins rotiert – doch nicht die gesamte Redaktion: Redakteurin Katharina sitzt mir mit verzweifelten Augen gegenüber und schüttet noch ein extra Verzweiflungs-Päckchen in ihren Kaffee.

Die unbequeme Wahrheit

Ich merke, jetzt kommt ein Geständnis: „Ich arbeite zu wenig und komme damit auch noch durch!“. Jeden Tag fragt sie sich also aufs Neue, wann der Zeitpunkt kommt, an dem ihre eigene Blase des süßen Nichtstuns platzt. Leider kommt dazu, dass es auch noch verdammt anstrengend ist, diese Seifenblase am Schweben zu halten. Katharinas Problem: Sie kann von Zuhause arbeiten. Das Büro am anderen Ende der Stadt sucht sie nur selten auf. Fragen die Kollegen doch mal nach dem Fortschritt ihrer Arbeit, lächelt und nickt sie: „Alles super!“ Die Wahrheit – sie hat so wenig zu tun, dass Langeweile ihre ursprüngliche Produktivität abgelöst hat. Dazu kommt, dass das Nichtstun sie anstrengt. Sie fühlt sich ausgebrannt, ständig erschöpft und das, obwohl sie nicht mal ausgelastet ist. Mehr „first world problem“ geht eigentlich nicht mehr.

(Un-) Glücklicherweise sitzt sie aber mir, einem Hypochonder der schlimmsten Sorte, gegenüber: Mein erster Gedanke: Diagnose Bore-Out. Der informierte Hypochonder weiß nämlich, dass nicht nur das trendige Burn-Out Menschen müde macht – auch das Bore-Out droht unserer Gesundheit. Anstatt von zu viel Arbeit ist man dann von zu viel Langeweile ausgebrannt. Man hat sich buchstäblich krank gelangweilt.

Diagnose: Bore-Out

Nicht nur der Name, auch die Anzeichen der beiden Krankheiten sind ähnlich: Von ständiger Erschöpfung und chronischen Rückenschmerzen bis zu Herz-Rythmusstörungen kann alles drin sein. Das Problem: Die Diagnose wird meist gar nicht oder sehr spät ausgesprochen – das Stigma ist einfach zu groß. Auch ich erteile das Urteil „Katharina, du hast dich krank gelangweilt!“ scherzhaft – es ist im Moment doch noch eher unwahrscheinlich, dass ihre dauernde Erschöpfung und Müdigkeit von einem Arzt behandelt werden muss.

Es ist die Essenz des ganzen, die zu denken geben sollte: Unterforderung ist genauso schlimm wie Überforderung. Jeder, der auch nur ein mal vor Kollegen Beschäftigung vortäuschen musste, weiß wie anstrengend und auch anspruchsvoll das sein kann. Ohne klare Aufgaben, die uns auslasten sind wir verloren! Bezeichnend dafür ist die Studie des Gallup Instituts, die herausfand, dass fünfzehn Prozent der deutschen Arbeitnehmer innerlich bereits gekündigt haben. Die Folge: Unbewusste Sabotage und Unzufriedenheit. Furchtbarer geht es eigentlich kaum, oder?

Generation Langeweile

Doch – laut dem amerikanische Psychologen Carl E. Pickhardt gibt es nämlich zwei Arten von Langeweile: Typ 1, der durch das Fehlen von Aufgaben und einem allgemeinem Sinn hervorgerufen wird und Typ 2, der durch das gefühlte „In-der-Falle-Sitzen“ hervorgerufen wird. Also durch das Gefühl des Gefangen-Seins in einem miesen Job oder Studium, das schlicht und ergreifend nicht das Richtige für uns ist. Es ist eben nicht jeder (hingegen der allgemeinen Annahme) dafür gemacht, BWL zu studieren. Doch es gibt Hoffnung – Pickhardt schreibt: „To feel empty of interest, purpose and direction in life can mean you are full of opportunity to create this definition.“

Da helfen also keine Pillen und auch keine kalten Umschläge: Das Einzige, was uns wachrütteln kann, ist eine kleine Rückbesinnung auf die Produktivität und die Lust, die unsere Arbeit, unser Studium und unsere Freizeit ursprünglich beinhalten sollte. Denn sogar unsere freie Zeit, die eigentlich entspannend sein sollte, verbringen wir damit, uns von Internet, Film und Fernsehen langweilen zu lassen.

Häng dich rein!

Um unser generationsspezifisches Phänomen der Langeweile, vielleicht der kleine Bruder vom Bore-Out, zu bekämpfen, hilft nur eines: Mehr Leidenschaft! Wir müssen wieder anfangen, uns aktiv für Beschäftigungen zu entscheiden und diese dann auch, wie eine Verantwortung, zu übernehmen. Gefällt dir dein Job nicht – kündige! Langweilt dich dein Studium – brich ab! Und langweilt dich das Fernsehprogramm – schalte aus! Wir haben das Glück in einer Gesellschaft zu leben, in der keiner von uns gezwungen wird, irgendetwas zu tun – und trotzdem zwingen wir uns dazu, Dinge zu tun, die uns nicht zu 100% erfüllen. Warum nutzen wir den ultimativen Luxus der Entscheidungsfreiheit so wenig?

Der fantastische Musiker Olli Schulz singt in seinem Song „Irgendwas fehlt“ über das Problem der Leidenschaftslosigkeit: „Denn ich will mich nicht mehr und ich will dich nicht mehr ohne Leidenschaft küssen.“ Und obwohl Schulz nur über seine Fantasiefreundin singt und sowieso zur Blödelei neigt, hat er recht: Ohne ein bisschen Leidenschaft hat Küssen keinen Sinn. Doch nicht nur Küssen – auch Job, Studium, Freundschaft und Familie. Geben wir die Leidenschaft auf, geben wir auch bisschen uns selbst auf. Was dann folgt sind aussichtslose Arbeitstage wie die von Katharina oder im schlimmsten Fall: Die Diagnose Bore-Out.

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Bildquelle: Patrick Pilz/unsplash.com