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Hochzeit, Kind und Steuern: Das erwachsene Happy Meal der Gen-Y

Es ist zwei Uhr nachts und mein Handy klingelt. Der schrille Klingelton weckt mich und reißt mich direkt aus meinen schönen Träumen. Verschlafen taste ich nach meinem Handy und auf meinem viel zu hellen Display erscheint das Bild meiner Freundin Sarah. Ein schönes Foto, aber um 2 Uhr nachts könnte ich tatsächlich gut darauf verzichten, es mir anzusehen – denn es heißt ich muss auch ans Telefon gehen. So etwas kommt nämlich nun einmal davon, wenn man seinen Freunden eine 24 Stunden Kummerhotline anbietet – selbst Schuld. Selbstverständlich nehme ich den Anruf, wenn auch mit einem leichten Zögern, entgegen. Wieso das Zögern? Weil ich bereits weiß, dass ich mich direkt auf den Weg zu Sarah machen werde, an der Tankstelle noch die nötigsten Kummerutensilien besorge und mal wieder ein Nachtschatten mehr unter meinen Augen zu sehen sein wird. Am Telefon kommt mir bereits ein lauter Schluchzer entgegen: „Timo hat Schluss gemacht. Ich wusste es, dass es nicht mehr lange so weiter gehen würde.“ „Ich bin gleich da!“ lautet meine etwas kurze, aber doch sehr klare Antwort.

Während wir also mitten in der Nacht in ihrer Küche sitzen, bediene ich mich an Schokolade und sie sich an der Kunst des Multitaskings, was absolut nicht zu funktionieren scheint. Aus dem Mix von Erzählen, Weinen und Schneuzen kann ich nur wenig verstehen, stattdessen höre ich meine Gedanken sprechen. Es scheint, als würde diese Trennung sogar mich etwas berühren oder vielleicht eher überraschen? Schließlich waren die beiden fünf Jahre zusammen und somit ein Vorzeige-Paar in unserem Freundeskreis. Aber was bedeutet das denn in unserem Alter eigentlich noch? Hatte ich denn ernsthaft gedacht, dass Sarah und Timo irgendwann einmal heiraten, ein Haus im Grünen haben und ihr kleines Kind im Garten spielen lassen? Eigentlich nicht, nein. Dafür sind wir doch noch zu jung, oder? Ich greife erneut zur Schokoladentafel.

„Nothing can stop me! I’m all the way up!“ – in Richtung Garten und Kiesauffahrt

Das soeben beschriebene Modell scheint in unserem Alter wohl völlig normal und aktuell zu sein. Es gibt Beziehungen, die werden jung geschlossen und enden daraufhin auch jung. Irgendwann kommt man darüber hinweg, denn eigentlich hat man doch sowieso nicht gedacht, dass es „Für immer“ ist. Zumindest dachte ich das. Das wörtliche „Für Immer“ Modell scheint allerdings tatsächlich einen enormen Aufschwung in unserer eigentlich so planlosen Generation zu durchleben und bildet somit das Gegenmodell zu Snoopy Pyjamas, verschmierter Mascara und Nutellagläsern. Die Schlagwörter dieser Gegenbewegung lauten: Hochzeit, Kind, Haus am See und die Kiesauffahrt – all das bitte möglichst schnell!

Allmählich wundert es mich sogar, dass mein Kühlschrank noch nicht gänzlich mit rosaroten Bildchen meiner Freunde verklebt ist, die ihre Zukunftsvisionen über die perfekte Familie und das gemeinsame Haus am Stadtrand mithilfe von Malstiften auf ein Blatt Papier kritzelten. Dass mein Freundeskreis nun völlig wahnsinnig geworden ist, hatte ich spätestens letzte Woche bemerkt. Es war ein Status-Update meiner Freundin Anna, welches meinen großen Hoffnungsberg auf unser unbeschwertes Alter trostlos in sich zusammenfallen ließ.

„Wir heiraten aus Steuergründen, weißt du?“

Es war ein guter Tag und alle Zeichen standen auf einen fast so guten Abend. Der Kühlschrank war prall gefüllt mit Weinflaschen und ich erwartete meine Freundin Anna, die ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen habe. Wir quatschten mal wieder über alles, was uns auf der Seele brannte und selbstverständlich standen auch Themen wie Exfreunde, Familien, Liebschaften und die Uni an der Tagesordnung. Plötzlich nahm das Gespräch eine starke Wendung an und driftete immer weiter ab – in eine gänzlich falsche, viel zu vernünftige und für mich viel zu erwachsene Richtung. Nach der zweiten Flasche Wein platzte schließlich die Bombe. „Ich muss dir noch etwas sagen…“ sagte Anna mit einem Unterton, der keinem Menschen sonderbar gefällt und aus dem sich bereits ableiten ließ, dass die folgende Nachricht einschlägt. „Mein Mitbewohner Max und ich wollen heiraten.“

Wow! Dass diese Nachricht in mir einiges wachgerüttelt hatte, merkte ich erst daran, dass ich tatsächlich sprachlos war. Meine 24-jährige Freundin blickte mich an. Ihr Blick war erwartungsvoll und sie schien wohl so etwas wie eine Antwort oder sogar einen Ratschlag von mir zu verlangen. Ohne eine Regung meinerseits erzählt sie mir die Geschichte von ihrem Mitbewohner, mit dem sie eines Abends betrunken auf die Idee gekommen ist, dass sich eine Hochzeit definitiv lohnen würde – hinsichtlich Steuergründen. Ich höre mal wieder meine Gedanken sprechen: „Anna ist 24 und Max erst 26. Die beiden sind kein sich liebendes Paar, sondern nur Mitbewohner. Sie wollen aus Steuergründen heiraten. Ein Grund über den ich mir in meinem Alter noch absolut keine Gedanken gemacht habe. Sind die wahnsinnig oder bin ich es?“ Meine vermutlich einzige Regung in diesem Moment war der automatisierte Griff zum Weinglas.

Wo bleibt das tolle Spielzeug in unserem erwachsenen Happy Meal?

Das Erstaunliche dabei: Es war wohl nicht einmal meine Freundin, die mich mit der Neuigkeit ihrer steuermildernden Hochzeit in einen sprachlosen Zustand versetzte, sondern die allgemeine Gesprächssituation, die mich stutzig machte und mich zum Überlegen brachte.

„Immer mehr“ schien schon immer die Devise zu sein, doch inzwischen ist es viel mehr als nur das. Inzwischen lautet das Geheimrezept zum Erwachsenwerden scheinbar „Immer früher“ und „Immer schneller“. Das erschreckt und beängstigt schon fast ein wenig, denn die lustigen Gespräche beim Essen mit Freunden werden inzwischen auch gerne und nicht allzu selten durch frühzeitige Familienplanung und den ersten gemeinsamen Wohnungskauf abgelöst. Mit dem Älterwerden kommt das Erwachsen sein und irgendwann sollten wir den Schritt in Richtung Vernunft wagen – aber seit wann herrscht die Regel, dass wir für all diese Schritte nur noch die ersten 25 Jahre unseres Lebens haben? Was sollen wir denn dann mit den nächsten Jahren machen, wenn wir schon mit 25 so vernünftig planen wie andere mit 35? Fragen über Fragen und trotzdem lauten die größten Fragen, die ich mir stelle: Sind die anderen zu spießig oder habe ich es einfach verpasst auf diese besondere Welle des Erwachsenwerdens mit aufzuspringen? Wie geht eigentlich dieses richtige, planvolle Erwachsenwerden?

Schaltet mal einen Gang runter, Kinnas!

Bisher habe ich auf diese großen Fragezeichen noch keine Antworten mit Ausrufezeichen gefunden. Vermutlich liegt das auch daran, dass es keinen richtigen oder falschen Weg zum Erwachsenwerden gibt. Am Ende des Tages lebt schließlich doch jeder sein Leben für sich und entscheidet sich entweder für das Modell der Trauer: sich gehen lassen und der anschließenden Akzeptanz, dass in unserem Alter nicht jede Beziehung auch gleich „Für immer“ bedeutet. Oder für das rosarote Modell der Happyness: und davon kann man sich schließlich kaum mehr losreißen, weil die Vorstellung von Hochzeit für die Steuererklärung, dem gemeinsamen Haus am See und dem kleinen Kind so verlockend aussieht.

Am sinnvollsten ist es wohl einfach beide Modelle in sein Leben einzubauen und das entspannt und alles der Reihe nach – denn das „Für immer“ Modell können wir auch in zehn Jahren noch ausleben. Die Devise sollte aktuell weder „Immer mehr“ noch „Immer früher“ oder „Immer schneller“ sondern viel mehr „Immer mehr Entschleunigung“ lauten. Schieben wir Kiesauffahrt, Haus im Grünen und die Familienplanung einfach mal beiseite und gönnen uns mal wieder mit unseren 20 Jahren das Happy Meal inklusive Spielzeug. Lassen wir uns doch mal wieder mehr Zeit mit der Planung, die Dinge so passieren, wie sie eben passieren und die Handys weiterhin nachts um 2 Uhr für die traurigen, verlassenen Gesichter eingeschaltet, denn in diesen Momenten zeigen die leeren Nutellagläser, Snoopy Pyjama Hosen und großen Tränchen, dass in der so betitelten „Gen-Y“ eben doch nicht alles gleich „Für immer“ sein muss.