Rollstuhlfahrer Stuttgart Taxi

Rollstuhlfahrer zahlen drauf: Taxi-Debatte in Stuttgart

Ich drehe den Volumenkegel der Radioanlage etwas lauter und glaube meinen Ohren nicht zu trauen: eine hitzige Debatte in Stuttgart sorgt zur Zeit für Aufmerksamkeit. Die Taxiunternehmen möchte gerne eine Neuerung einführen, die einen Zuschlag von 7,50 Euro für den Transport von Rollstuhlfahrern beinhaltet. Damit würden in Zukunft Rollstuhlfahrer bei einer Taxifahrt einen Aufpreis bezahlen. Sei ja alles ein Zeitaufwand, Taxi bestellen, einzuladen, von A nach B fahren, wieder ausladen und, und, und. Ich kann diese Argumentation kaum fassen. Schließlich wird ständig für Gleichberechtigung und gegen Benachteiligung plädiert und dann sowas. Viele Menschen sind auf den Transport durch ein Taxi angewiesen, zum Beispiel für den Besuch bei einem Arzt, in einer Reha-Klinik oder einfach eines Supermarktes. Nicht überall gibt es eine barrierefreie Infrastruktur, beziehungsweise gibt es überhaupt Infrastruktur. Ist man dazu noch alleinstehend und auf die Hilfe und Unterstützung anderer Menschen angewiesen, bleibt einem oftmals nicht anderes übrig, als zum Telefonhörer zu greifen und sich ein Taxi zu bestellen. Das auszunutzen, finde ich beschämend.

Nicht das erste Mal

 

Die Geschäftsführerin des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung in Baden Württemberg ist empört. Jutta Pagel-Steidl kann nicht verstehen, dass man für ein Handicap nun auch noch zahlen soll. Die Bereitstellung von Großraumtaxis ist die eine Sache, die Begründung des Aufpreises mit der körperlichen Beeinträchtigung des Menschen die andere. Demnach ist nachzuvollziehen, dass zwar ein höherer Zeitaufwand nötig ist, um die größeren Taxis anzufordern, jedoch explizit für die Behinderung Geld zu verlangen, ist grenzwertig. Bereits 2013 kam es in Essen zu einer Diskussion, als eine Frau im Rollstuhl fünf Euro Aufschlag für den Transport zahlen musste. Der Fahrer berief sich damals auf eine nicht vorhandene Gebührenordnung und kassierte ab. Zwar wurde er später dafür belangt, da es sogar als Ordnungswidrigkeit gilt, für Hilfsmittel wie Rollstühle, Rollatoren oder auch Kinderwagen eine Gebühr zu berechnen, jedoch wurde schon damals deutlich: Es gibt Menschen, die aus dem Handicap anderer noch Profit schlagen wollen. Natürlich ist es nichts Neues, dass man manchmal das Gefühl hat, Geld regiert die Welt, aber mal ehrlich: wer ist denn bitte dafür verantwortlich, wenn nicht wir?

BarriereFREIHEIT ist das Schlagwort

 

Man kann sich nur schwer vorstellen, wie viele Hindernisse es im Leben eines Rollstuhlfahrers gibt. Der Alltag ist voll davon. Nicht nur die etlichen Treppenstufen, schwer zu öffnende Türen, zu hohe Theken in Ämtern, auch die Infrastruktur ist im großen Maße davon betroffen. Bahnhöfe und Flughäfen arbeiten noch immer an rollstuhlgerechten Plätzen. Initiativen und soziale Vereine versuchen sich dafür einzusetzen, dass Menschen mit Behinderung zumindest eine Minimierung der Benachteiligungen erwarten können. Barrierefreiheit umfasst so vieles. Auch den Transport durch ein Taxi. Das hat einiges mit Freiheit zu tun. Rollstuhlfahrer sollten nicht mehr für die gleiche Taxifahrt zahlen müssen als Menschen ohne Rollstuhl. Auch dann nicht, wenn es zehn Minuten länger dauert.

 

Zeit –  das einzige, was es kosten sollte

 

Natürlich kostet es Zeit, aber die kostet es auch, wenn eine Gruppe Schüler, eine Horde Feier wütiger oder eine Seniorenwandergruppe gerne kutschiert werden möchte. Wenn ich Taxifahrer bin berechne ich doch den Weg, den ich fahre, und nicht die Zeit. Das ist wohl einfach eins unserer Grundprobleme. Schneller, besser, erfolgreicher. Immer das Gleiche. Unsere Gesellschaft setzt Maßstäbe, die wir selbst nicht mehr leisten können. Wir kriegen den Hals nie voll. Der Vorstand der Taxiunternehmen streitet dies natürlich ab. Genauso wie den Vorwurf der Diskriminierung. Man bräuchte ja schließlich auch Geld für die Fahrzeuge. Irgendwie müsste das ja auch finanziert werden. Ja, verständlich, aber das ist nicht die Aufgabe der Rollstuhlfahrer, sondern des Unternehmens.

 

Was geht, Rollis?

 

Und wie sehen das eigentlich die Rollstuhlfahrer? Viel Lärm um Nichts? Denn die Frage, die ich mir vor allem stelle: was macht alleine so ein Antrag mit denjenigen, die es dann tatsächlich trifft? Wie fühlt sich das wohl an? Es ist diskriminierend. Kritiker werden nun wieder darüber lachen und sich ein zynisches „Gutmensch‟ herauswürgen, aber ein bisschen mehr Herz in Kombination mit Hirn kann niemandem schaden. Im Gegenteil. Es lässt mich zumindest ein klitzekleinesbisschen noch auf eine Rettung hoffen.

Beitragsbild via pixabay/ CC0 Lizenz

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